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Hoernes, Moritz
Urgeschichte der bildenden Kunst in Europa: von den Anfängen bis um 500 vor Christi — Wien: Druck und Verlag von Adolf Holzhausen, 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.62929#0066

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Die Kunst im Zeitalter des reinen Jägerthums.

Der geflochtene Korb führt von selbst zur Keramik. Wenn er mit löche-
rigem Boden eine Zeitlang auf feuchtem Lehmgrunde gestanden, musste der
Träger beim Aufheben die Wahrnehmung machen, dass sich das Gefäss durch
einen dichten Ueberzug selbstständig verbessert habe. Dieser Ueberzug fiel
nicht mehr ab, wenn er innen mit einiger Vorsicht aufgetragen wurde. Dann
mochte auch die geflochtene Wandung schadhaft werden, der starre Kern ver-
längerte die Dauer der Brauchbarkeit eines solchen Gebildes. Und wenn das-
selbe, wie es leicht vorkommen konnte, durch Feuer beschädigt wurde, war
das eigentliche Wesen der Keramik dem Menschen greifbar nahe gerückt. Der
Korb wurde zur geflochtenen Form, die man absichtlich im Feuer vergehen
liess, und deren Abdrücke im feuchten Thon das älteste automatische Thon-
gefässornament bildeten.
Wenn wir aber auch die Korbflechterei und einige andere Künste in vege-
tabilischem Material für die Renthierzeit voraussetzen, so ist doch gewiss, dass
die Entwicklung der industriellen Thätigkeit in dieser Zeit eine weitaus ge-
ringere war als in der darauffolgenden neolithischen Periode. Daraus ergibt
sich mit gleicher Gewissheit, dass, wie auch die Ueberlieferung zeigt, das reine
Ornament in der paläolithischen Zeit keine hervorragende Rolle gespielt haben
kann. Es ist deshalb unrichtig, den „Schmucktrieb“, den „horror vacui“ oder
dergleichen unerwiesene Annahmen als letzte Thatsachen an den Beginn der
ganzen Kunstentwicklung zu setzen. Die Ornamentik kann sich nur an der
industriellen Thätigkeit entwickeln, die ihre stoffliche Voraussetzung bildet; —
daher ihre thatsächlich bezeugte posteriore Stellung in der Entwicklungsgeschichte.
Völker ohne allo . Tndustrie, welche, wie die ceylonischen Weddas und die cul-
turverwandten ce^lralafrikanischen Pygmäen, die wesentlichsten Bestandtheile
ihrer Waffen und Werkzeuge von höher entwickelten Nachbarstämmen entlehnen
müssen, haben gar keine Ornamentik und können keine solche haben, wenn sie
auch äusserlich dazu befähigt wären. Denn es fehlt ihnen der Geist, welcher
eine solche hervorbringt, ob sie ihn nun niemals besessen oder durch Degene-
ration ihrer Cultur wieder verloren haben.
Somit bleibt schliesslich die Schätzung des Ornaments der älteren Steinzeit
abhängig von der Beurtheilung der Industrie dieses Zeitraumes, welche wir
nicht vollständig kennen. Aber so gewiss die letztere primitiv war, so gewiss
ist nicht Alles auf uns gekommen, was sie hervorgebracht, und so gewiss hat
sie, wie in ihr die Steinmanufactur und neben dir die figürliche Bildnerei, meh-
rere Entwicklungsphasen durchlaufen, in welchen sehr verschiedene Ansätze
enthalten waren.
3. Freie Bildnerei.
Die verschiedenen Anläufe zur Entwicklung eines Ornamentes in der
älteren Steinzeit werden tief in den Schatten gestellt durch die gleichzeitige
Ausübung einer freien figürlichen Bildnerei, die, wie wir bereits gesehen haben,
keine decorative Kunst war. Man hat dieselbe durch motivirte Vergleichung
mit Arbeiten der Australier, Buschmänner, Eskimo zu erklären versucht. Allein
 
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