Ornamentik.
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bräuchlich gewesen sein, die uns jedoch, ihrer Technik wegen, nicht erhalten
sind. Uebrigens möchte man schon a priori behaupten, dass eine Waffenform
wie diese Jagdharpunen nicht aus freier Phantasie erfunden und zuerst in Ren-
geweih aus ganzen Stücken ausgeführt worden sein kann; es muss nothwendig
eine leichter erklärbare, d. i. der vorbildlichen Natur näherstehende Vorstufe
angenommen werden, in welcher diese Waffen aus Holz mit angeschnürten
Spitzen bestanden haben.
Wir sehen also, dass die Technik auch in der Diluvialzeit schon eine
Quelle ornamentaler Formen bildet, und es ist gewiss Uebertreibung, wenn man,
um der „tollen Hetzjagd“ nach formgebenden Techniken ein Ende zu machen,
jeden Einfluss der Technik auf die Decoration leugnet. Man ist so weit ge-
gangen, den Renthierjägern die Korbflechterei abzusprechen, um nur ja nicht
einen möglichen Einfluss von dieser Seite her annehmen zu müssen. Die von
der Ethnologie beobachtete Priorität der Korbflechterei vor der Keramik — wie
sie auch von Kekule1) im Sinne der Lehren Semper’s geltend gemacht wurde —
möge, so hat man gesagt, vielleicht eine richtige Voraussetzung sein; ausgemacht
sei sie sicher nicht. Wir halten sie für so ausgemacht, als sie nur irgend sein
kann. Mit Recht nennt Grosse die Töpferei eine verhältnissmässig junge Kunst,
weit jünger als die Flechterei, welche selbst bei den rohesten Stämmen (Au-
straliern, Feuerländern) schon ziemlich ausgebildet ist. Der Korb war überall
Vorgänger und Vorbild des Topfes. „Das Thongefäss ist ein Usurpator, der
sich sowohl die Stelle, als das Kleid seines geflochtenen Vorgängers aneignet.“
Freilich darf man geflochtene Körbe unter den prähistorischen Funden nicht
suchen. Wenn uns aus der Quartärzeit fast nur Stein, Horn und Knochen
geblieben sind, so folgt daraus nicht, dass damals keine andeinn Stoffe bearbeitet
worden wären. Diese sind uns nun ebenso wenig erhalten als die Sagen und
Lieder jener Menschen. Wir müssten sonst auch Bordier zustimmen, der den
Renthierjägern das Sprachvermögen abstreitet und aus einigen Knochenpfeifchen,
die sich in Höhlen gefunden, schliesst, dass sie sich untereinander nicht durch
Worte, sondern durch Pfiffe verständigt hätten.
Dem Kunsthistoriker, der die Dinge durch seine Culturbrille sieht, ist der
Thontopf das „Einfache“, der geflochtene Korb das „Zusammengesetzte“, jener
das Wasserdichte, dieser das Durchlässige. Er fühlt sich im Stande, eine
Trinkschale aus Lehm in freier Hand zu formen, nicht aber einen Korb zu
flechten. Allein was beweist dies? Er würde nicht überall Töpferthon finden
und es bald aufgeben, sich mit zerbrechlichem Thongeschirr zu beladen, wenn
er ein unstetes Jägerleben führen müsste. Hingegen würde er bald lernen, wie
man geflochtene Körbe undurchlässig und so zur Aufbewahrung von Flüssig-
keiten geeignet macht. Und endlich käme er durch die Uebung der Korb-
flechterei möglicherweise sogar darauf, grosse bauchige Thongefässe nicht aus
einem Stück Lehm, sondern aus mehreren runden, langen, übereinandergelegten
Thon Wülsten aufzubauen, wie es bei den Kaffern beobachtet worden ist und
sicher auch in Alteuropa üblich war.
’) Arch. Anz. 1890, S. 106.
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bräuchlich gewesen sein, die uns jedoch, ihrer Technik wegen, nicht erhalten
sind. Uebrigens möchte man schon a priori behaupten, dass eine Waffenform
wie diese Jagdharpunen nicht aus freier Phantasie erfunden und zuerst in Ren-
geweih aus ganzen Stücken ausgeführt worden sein kann; es muss nothwendig
eine leichter erklärbare, d. i. der vorbildlichen Natur näherstehende Vorstufe
angenommen werden, in welcher diese Waffen aus Holz mit angeschnürten
Spitzen bestanden haben.
Wir sehen also, dass die Technik auch in der Diluvialzeit schon eine
Quelle ornamentaler Formen bildet, und es ist gewiss Uebertreibung, wenn man,
um der „tollen Hetzjagd“ nach formgebenden Techniken ein Ende zu machen,
jeden Einfluss der Technik auf die Decoration leugnet. Man ist so weit ge-
gangen, den Renthierjägern die Korbflechterei abzusprechen, um nur ja nicht
einen möglichen Einfluss von dieser Seite her annehmen zu müssen. Die von
der Ethnologie beobachtete Priorität der Korbflechterei vor der Keramik — wie
sie auch von Kekule1) im Sinne der Lehren Semper’s geltend gemacht wurde —
möge, so hat man gesagt, vielleicht eine richtige Voraussetzung sein; ausgemacht
sei sie sicher nicht. Wir halten sie für so ausgemacht, als sie nur irgend sein
kann. Mit Recht nennt Grosse die Töpferei eine verhältnissmässig junge Kunst,
weit jünger als die Flechterei, welche selbst bei den rohesten Stämmen (Au-
straliern, Feuerländern) schon ziemlich ausgebildet ist. Der Korb war überall
Vorgänger und Vorbild des Topfes. „Das Thongefäss ist ein Usurpator, der
sich sowohl die Stelle, als das Kleid seines geflochtenen Vorgängers aneignet.“
Freilich darf man geflochtene Körbe unter den prähistorischen Funden nicht
suchen. Wenn uns aus der Quartärzeit fast nur Stein, Horn und Knochen
geblieben sind, so folgt daraus nicht, dass damals keine andeinn Stoffe bearbeitet
worden wären. Diese sind uns nun ebenso wenig erhalten als die Sagen und
Lieder jener Menschen. Wir müssten sonst auch Bordier zustimmen, der den
Renthierjägern das Sprachvermögen abstreitet und aus einigen Knochenpfeifchen,
die sich in Höhlen gefunden, schliesst, dass sie sich untereinander nicht durch
Worte, sondern durch Pfiffe verständigt hätten.
Dem Kunsthistoriker, der die Dinge durch seine Culturbrille sieht, ist der
Thontopf das „Einfache“, der geflochtene Korb das „Zusammengesetzte“, jener
das Wasserdichte, dieser das Durchlässige. Er fühlt sich im Stande, eine
Trinkschale aus Lehm in freier Hand zu formen, nicht aber einen Korb zu
flechten. Allein was beweist dies? Er würde nicht überall Töpferthon finden
und es bald aufgeben, sich mit zerbrechlichem Thongeschirr zu beladen, wenn
er ein unstetes Jägerleben führen müsste. Hingegen würde er bald lernen, wie
man geflochtene Körbe undurchlässig und so zur Aufbewahrung von Flüssig-
keiten geeignet macht. Und endlich käme er durch die Uebung der Korb-
flechterei möglicherweise sogar darauf, grosse bauchige Thongefässe nicht aus
einem Stück Lehm, sondern aus mehreren runden, langen, übereinandergelegten
Thon Wülsten aufzubauen, wie es bei den Kaffern beobachtet worden ist und
sicher auch in Alteuropa üblich war.
’) Arch. Anz. 1890, S. 106.