Freie Bildnerei.
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nach den wunderbaren Zeugnissen urwüchsiger Kunstbegabung aus westeuro-
päischen Höhlenschichten standen die quartären Troglodyten an Talent weit
höher als die noch jetzt lebenden Jägerstämme. Wie aber nicht bei allen
Jägerstämmen der Gegenwart freie Bildnerei angetroffen wird, so finden sich
jene alten Zeugnisse auch nicht überall, wo Renthierjäger in Höhlen hausten.
In Frankreich bestehen grosse Sammlungen solcher Arbeiten, vielfach im Privat-
besitz (Piette, Massenat, Lastic u. A.) und noch zum grössten Theile unedirt.
Sie waren früher schwer zu deuten und bildeten eine grosse Unbequemlichkeit;
man liebte es, sie insgesammt als unecht zu verwerfen, weil unter die Thayinger
Funde thatsäehlich zwei Fälschungen eingeschmuggelt worden sind, die aber
alsbald erkannt und beseitigt wurden. Jetzt ist die Echtheit der grossen Masse
dieser Funde, soweit man sie kennt, wohl allgemein anerkannt. Die letzten,
ganz unverdächtigen hat die Höhle am Schweizersbild geliefert.
Die folgende Schilderung kann, da sie sich nur auf publicirtes Material
stützt, nicht mehr geben als ein sehr unvollkommenes Bild der alteuropäischen
Jägerkunst. „On ne connait pas la souplesse et le talent de nos chasseurs de
renne,“ sagt Cartailhac1) mit Beziehung darauf, dass trotz der Publicationen,
welche seit dem ersten und grundlegenden Werke von Lartet und Christy über
diesen Gegenstand erfolgt sind, der grösste Theil der erhaltenen Kunstwerke
noch unedirt ist und die, welche man herausgegeben hat, nicht immer treu
reproducirt sind. Die Sammlungen aus der Dordogne, besonders aber jene aus
den Pyrenäen, aus Gourdan, Hortet, Arudy und Mas d’Azil bilden einen wahren
Nationalschatz, den die Franzosen nur mit zu grosser Aengstlichkeit hüten. Das
grosse Werk „Les Pyrenees pendant Läge du renne“, dessen Tafeln Piette
schon 1889 dem internationalen Congress der Prähistoriker zu Paris vorlegen
konnte, ist bis heute noch nicht erschienen; doch hat Piette angefangen, in ein-
zelnen sehr werthvollen Abhandlungen die Hauptergebnisse seiner Höhlenfor-
schungen zu veröffentlichen. Diese Arbeiten sind es, die uns in den Stand
setzen, die Entwicklung der Höhlenkunst besser zu beurtheilen, als es noch vor
wenigen Jahren möglich war.
Diese Q.uartärkunst blüht nur in Westeuropa, dem wildreichsten mildesten
Theile des Continents und hier wieder besonders im milderen Süden. Sie ist
demnach abhängig von günstigen klimatischen und wirthschaftlichen Bedingun-
gen, sowie in ihrer Entwicklung von der Existenz einer Tradition. Nach Geist
und Form ist sie eine echte Jägerkunst, wie die Künste der Buschmänner,
Australier, Eskimo, aber von grösserer Frische und Urwüchsigkeit. Ihre Ge-
genstände sind fast nie Pflanzen, selten Menschen, dagegen fast ausschliesslich
Thiergestalten. Unter den letzteren erscheinen selten Vögel, etwas häufiger
Reptilien, noch häufiger Fische und ungemein oft Säugethiere. Dies heisst:
man zeichnete die Nahrungsthiere. Vögel erlegte man seltener; Fischfang wurde
eifrig betrieben. Man kannte weder Bogen und Pfeil, noch die Angel, und
stach die Fische mit Lanzen und Harpunen. Forellen und Hechte sind mit
wunderbarer Treue wiedergegeben; einmal ist auch ein Fischskelet gezeichnet.
9 Compte-rendu, Congres internat., X, 1889, Paris, S. 164.
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nach den wunderbaren Zeugnissen urwüchsiger Kunstbegabung aus westeuro-
päischen Höhlenschichten standen die quartären Troglodyten an Talent weit
höher als die noch jetzt lebenden Jägerstämme. Wie aber nicht bei allen
Jägerstämmen der Gegenwart freie Bildnerei angetroffen wird, so finden sich
jene alten Zeugnisse auch nicht überall, wo Renthierjäger in Höhlen hausten.
In Frankreich bestehen grosse Sammlungen solcher Arbeiten, vielfach im Privat-
besitz (Piette, Massenat, Lastic u. A.) und noch zum grössten Theile unedirt.
Sie waren früher schwer zu deuten und bildeten eine grosse Unbequemlichkeit;
man liebte es, sie insgesammt als unecht zu verwerfen, weil unter die Thayinger
Funde thatsäehlich zwei Fälschungen eingeschmuggelt worden sind, die aber
alsbald erkannt und beseitigt wurden. Jetzt ist die Echtheit der grossen Masse
dieser Funde, soweit man sie kennt, wohl allgemein anerkannt. Die letzten,
ganz unverdächtigen hat die Höhle am Schweizersbild geliefert.
Die folgende Schilderung kann, da sie sich nur auf publicirtes Material
stützt, nicht mehr geben als ein sehr unvollkommenes Bild der alteuropäischen
Jägerkunst. „On ne connait pas la souplesse et le talent de nos chasseurs de
renne,“ sagt Cartailhac1) mit Beziehung darauf, dass trotz der Publicationen,
welche seit dem ersten und grundlegenden Werke von Lartet und Christy über
diesen Gegenstand erfolgt sind, der grösste Theil der erhaltenen Kunstwerke
noch unedirt ist und die, welche man herausgegeben hat, nicht immer treu
reproducirt sind. Die Sammlungen aus der Dordogne, besonders aber jene aus
den Pyrenäen, aus Gourdan, Hortet, Arudy und Mas d’Azil bilden einen wahren
Nationalschatz, den die Franzosen nur mit zu grosser Aengstlichkeit hüten. Das
grosse Werk „Les Pyrenees pendant Läge du renne“, dessen Tafeln Piette
schon 1889 dem internationalen Congress der Prähistoriker zu Paris vorlegen
konnte, ist bis heute noch nicht erschienen; doch hat Piette angefangen, in ein-
zelnen sehr werthvollen Abhandlungen die Hauptergebnisse seiner Höhlenfor-
schungen zu veröffentlichen. Diese Arbeiten sind es, die uns in den Stand
setzen, die Entwicklung der Höhlenkunst besser zu beurtheilen, als es noch vor
wenigen Jahren möglich war.
Diese Q.uartärkunst blüht nur in Westeuropa, dem wildreichsten mildesten
Theile des Continents und hier wieder besonders im milderen Süden. Sie ist
demnach abhängig von günstigen klimatischen und wirthschaftlichen Bedingun-
gen, sowie in ihrer Entwicklung von der Existenz einer Tradition. Nach Geist
und Form ist sie eine echte Jägerkunst, wie die Künste der Buschmänner,
Australier, Eskimo, aber von grösserer Frische und Urwüchsigkeit. Ihre Ge-
genstände sind fast nie Pflanzen, selten Menschen, dagegen fast ausschliesslich
Thiergestalten. Unter den letzteren erscheinen selten Vögel, etwas häufiger
Reptilien, noch häufiger Fische und ungemein oft Säugethiere. Dies heisst:
man zeichnete die Nahrungsthiere. Vögel erlegte man seltener; Fischfang wurde
eifrig betrieben. Man kannte weder Bogen und Pfeil, noch die Angel, und
stach die Fische mit Lanzen und Harpunen. Forellen und Hechte sind mit
wunderbarer Treue wiedergegeben; einmal ist auch ein Fischskelet gezeichnet.
9 Compte-rendu, Congres internat., X, 1889, Paris, S. 164.