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Hoernes, Moritz
Urgeschichte der bildenden Kunst in Europa: von den Anfängen bis um 500 vor Christi — Wien: Druck und Verlag von Adolf Holzhausen, 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.62929#0063

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Ornamentik.

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Ueb er ein Stimmung des Motivs an verschiedenen Fundstellen troglodytischer
Kunstwerke hervorgehoben. In den mährischen und polnischen Höhlen scheint
es jedoch zu fehlen.
Während die Gesammtform der Thiergestalten oder einzelnen Thiertheile
stets realistisch wiedergegeben ist, verfällt die Oberflächenzeichnung derselben,
da eine naturtreue Wiedergabe unmöglich ist, der Stilisirung, der vereinfachten,
conventionell abgekürzten Reproduction, and aus dieser entwickelt sich ver-
muthlich das älteste geradlinige Ornament. Dieser geradlinigen Flächenverzie-
rung ist wahrscheinlich eine krummlinige, reliefartig wirkende vorhergegangen,
was uns nicht Wunder nehmen darf, insoferne nämlich die Schnitzkunst über-
haupt mit der plastischen Wiedergabe lebender Naturformen beginnt, in welcher
die krumme Linie ausschliesslich herrscht. Die gerade Linie ist, der Natur
gegenüber, eine Abstraction, die krumme dagegen das Concrete, und wie man
in der Bildkunst überhaupt zuerst die Rundplastik und dann die Umrisszeichnung
übte, so ist auch in der Decoration das Concrete dem Abstracten vorherge-
gangen.
Durch die angeführten Beispiele ist wohl die Mehrzahl der überlieferten
ornamentalen Schnitzereien vertreten und damit erschöpft, was man als eigentlich
typisch bezeichnen kann. Manches seltsame Zeichen mag pictographischc Be-
deutung gehabt haben. So die menschlichen Arme mit Zickzacklinien (Rel.
Aqu. B. IX 1. a. b.) oder dem Winkelband (ebenda XVII 6.), drei Paare mensch-
licher Fusssohlen oder Hände (ebenda X 8.), eine Wirbelsäule oder ein Pferde-
fussskelet (ebenda III—IV 6 b.), ein Pferdefuss mit Haut und Haar (l’Anthr.
V, S. 136, Fig. 4), ferner manche eigehthümliche Zeichen an den Lanzenspitzen
der Renthierschichte in der Maszickahöhle bei Krakau. 9 Beachtenswerth ist
die Aehnlichkeit der Verzierung einer dieser Lanzenspitzen, 1. c. Fig. 2, mit
einem französischen Fundstück (Rel. Aqu. B. IX 3). An beiden besteht das
Ornament aus einer doppelten Wellenlinie, deren Bogenfelder beim erstgenannten
mit Zickzacken, beim letztgenannten mit schrägen Strichlagen ausgefüllt sind.
Solche Stücke erwecken doch den Eindruck, dass all’ diese ornamentalen Schnitze-
reien nur der Nachhall einer im Gesammtkreise des Lebens viel reicher ent-
wickelten und einheitlicher sich zusammenschliessenden Decorationskunst ge-
wesen sind.
Montelius, welcher auf dem internationalen Congress für prähistorische
Archäologie und Anthropologie zu Paris 1889 die Tafeln eines von Piette vor-
bereiteten Werkes über die Kunst der Renthierjäger sah, war am meisten er-
staunt über ein Fragment aus der Höhle von Arudy, welches mit Spiralen und
einer Thierfigur verziert ist. Er fand* 2) nicht so sehr diese beiden Elemente
überraschend, als deren Verbindung zu einem ornamentalen System, in welchem
die Thierfigur zwischen zwei Spiralen erscheint. Nach der Abbildung zu ur-
theilen, wollte er dieses Stück vielmehr der ersten Eisenzeit als der Renthier-
periode zuschreiben. Cartailhac erklärte dagegen (1. c., S. 164) jenes Schnitz-

q Much, Atlas, Taf. III, Fig. 19. 39. IV 4. 8. 9. 14. 16.
2) Compte-rendu, S. 163.
 
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