Uebergang zur neolithischen Kunst.
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anders als schematisch nennen kann, und zu welcher auch Alteuropa schlagende
Analogien darbietet.1) Die Liste der an den Töpfen dargestellten Thiere ist,
wie v. d. Steinen richtig bemerkt, interessant wegen der Gestalten, die nicht
vertreten sind. Wir finden hier schon denselben Unterschied zwischen männ-
licher und weiblicher Kunst wie im modernen Stillleben, wo die Männer Wild-
pret und Fische, die Frauen dagegen Blumen, Früchte, Schmetterlinge, Fliegen
u. dgl. malen. Unter den Topfthieren der weiblichen Keramik herrscht das
kleinere und zahmere Gethier durchaus vor — Fledermaus- tnte, Taube, Zecke,
Assel, Krebs, Kröte, Eidechse, Schildkröte u. s. w. — es fehlen die Jagdthiere:
Jaguar, Tapir, Schwein, Schlange, Affe.
Wenn wir also in der neolithischen Zeit andere Hände am Werk finden
als in der paläolithischen, so rührt das vielleicht auch daher, dass ein grosser
und wichtiger Theil der industriellen Arbeit von einem Geschlechte auf das
andere übergegangen ist. Man hat die Gleichförmigkeit der geometrischen
Decoration in den verschiedensten Zeit- und Erdräumen darauf zurückgeführt,
dass die menschliche Hand eine Maschine ist, welche unter gleichen Bedingungen
der Arbeit gleiche Producte liefern muss. Wenn das geometrische Ornament
im Gange der allgemeinen Kunstentwicklung eine secundäre Stufe bezeichnet,
erscheint die Sache doch nicht so einfach, als wenn wir jene Decorationsweise
nach älterer Anschauung für die Urkunst halten dürften. Wir dürfen aber
vermuthen, dass die primäre Kunststufe, wo sie herrschte, ihre Ausbildung der
männlichen Hand verdankte, und dass die weibliche Hand wieder eine be-
sondere Maschine ist, welche anders arbeitet als jene erstere. Wahrscheinlich
ist die feiner ausgebildete und abgestufte Organisation der Innervation und
Muskelarbeit des weiblichen Auges und der weiblichen Hand einer der wesent-
lichen Factoren bei der Entstehung des geometrischen Ornamentes, und somit
liesse sich der schroffe Uebergang von der realistischen zur geometrischen
Decoration auf physiologische Eigenthümlichkeiten der beiden Geschlechter zu-
rückführen. Zu diesem äusseren physiologischen Moment tritt nun ein inneres,
psychologisches. Das geometrische Ornament erscheint nach Allem, was wir
an ihm mit unseren Augen sehen und über seine Entstehung und ursprüngliche
Bedeutung wissen, dem häuslichen, pedantisch-ordnungliebenden und dabei
abergläubig-fürsorglichen Geiste der Frau angemessener als dem des Mannes.
Es ist, rein ästhetisch betrachtet, eine kleinliche, geistlose, bei aller Prachtent-
faltung und Buntheit doch an gewisse enge Grenzen gebundene, aber in ihrer
Beschränktheit gesunde und tüchtige, durch Fleiss und äussere Zierlichkeit
gefällige Kunstweise, der Abdruck des weiblichen Wesens in der Kunst. Der
conservative und hieratische Charakter desselben, wenngleich der letztere viel-
leicht secundär ist, hängt damit auf das Engste zusammen.
*) Vgl. z. B. das eine Waldfrucht darstellende warzenbesetzte Thongefäss bei v. d. Steinen,
Taf. XXIV, Fig. 25, mit dem völlig identischen Stück aus Ziersdorf, Niederösterreich, Bronzezeit,
Mitth. Anthr. Ges. Wien XX, S. 72, Fig. 27 (rechts in der Gefässgruppe).
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anders als schematisch nennen kann, und zu welcher auch Alteuropa schlagende
Analogien darbietet.1) Die Liste der an den Töpfen dargestellten Thiere ist,
wie v. d. Steinen richtig bemerkt, interessant wegen der Gestalten, die nicht
vertreten sind. Wir finden hier schon denselben Unterschied zwischen männ-
licher und weiblicher Kunst wie im modernen Stillleben, wo die Männer Wild-
pret und Fische, die Frauen dagegen Blumen, Früchte, Schmetterlinge, Fliegen
u. dgl. malen. Unter den Topfthieren der weiblichen Keramik herrscht das
kleinere und zahmere Gethier durchaus vor — Fledermaus- tnte, Taube, Zecke,
Assel, Krebs, Kröte, Eidechse, Schildkröte u. s. w. — es fehlen die Jagdthiere:
Jaguar, Tapir, Schwein, Schlange, Affe.
Wenn wir also in der neolithischen Zeit andere Hände am Werk finden
als in der paläolithischen, so rührt das vielleicht auch daher, dass ein grosser
und wichtiger Theil der industriellen Arbeit von einem Geschlechte auf das
andere übergegangen ist. Man hat die Gleichförmigkeit der geometrischen
Decoration in den verschiedensten Zeit- und Erdräumen darauf zurückgeführt,
dass die menschliche Hand eine Maschine ist, welche unter gleichen Bedingungen
der Arbeit gleiche Producte liefern muss. Wenn das geometrische Ornament
im Gange der allgemeinen Kunstentwicklung eine secundäre Stufe bezeichnet,
erscheint die Sache doch nicht so einfach, als wenn wir jene Decorationsweise
nach älterer Anschauung für die Urkunst halten dürften. Wir dürfen aber
vermuthen, dass die primäre Kunststufe, wo sie herrschte, ihre Ausbildung der
männlichen Hand verdankte, und dass die weibliche Hand wieder eine be-
sondere Maschine ist, welche anders arbeitet als jene erstere. Wahrscheinlich
ist die feiner ausgebildete und abgestufte Organisation der Innervation und
Muskelarbeit des weiblichen Auges und der weiblichen Hand einer der wesent-
lichen Factoren bei der Entstehung des geometrischen Ornamentes, und somit
liesse sich der schroffe Uebergang von der realistischen zur geometrischen
Decoration auf physiologische Eigenthümlichkeiten der beiden Geschlechter zu-
rückführen. Zu diesem äusseren physiologischen Moment tritt nun ein inneres,
psychologisches. Das geometrische Ornament erscheint nach Allem, was wir
an ihm mit unseren Augen sehen und über seine Entstehung und ursprüngliche
Bedeutung wissen, dem häuslichen, pedantisch-ordnungliebenden und dabei
abergläubig-fürsorglichen Geiste der Frau angemessener als dem des Mannes.
Es ist, rein ästhetisch betrachtet, eine kleinliche, geistlose, bei aller Prachtent-
faltung und Buntheit doch an gewisse enge Grenzen gebundene, aber in ihrer
Beschränktheit gesunde und tüchtige, durch Fleiss und äussere Zierlichkeit
gefällige Kunstweise, der Abdruck des weiblichen Wesens in der Kunst. Der
conservative und hieratische Charakter desselben, wenngleich der letztere viel-
leicht secundär ist, hängt damit auf das Engste zusammen.
*) Vgl. z. B. das eine Waldfrucht darstellende warzenbesetzte Thongefäss bei v. d. Steinen,
Taf. XXIV, Fig. 25, mit dem völlig identischen Stück aus Ziersdorf, Niederösterreich, Bronzezeit,
Mitth. Anthr. Ges. Wien XX, S. 72, Fig. 27 (rechts in der Gefässgruppe).