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Die Plastik der ersten Eisenzeit.
Pegasus. Es ist eine ansprechende Vermuthung Milchhöfer’s,1) dass die Wendung
der Sage, nach welcher Pegasus aus dem durchschnittenen Halse der Mutter
entsprang, durch die ursprüngliche Vorstellung einer pferdeköpfigen Gorgo,
d. i. also einer ursprünglich in Pferdegestalt gedachten Erdgöttin, wie Demeter-
Erinys und die Harpyie Podarge, hervorgerufen worden sei. Solche Misch-
figuren verstand man später nicht mehr und erklärte sie durch einen aben-
teuerlichen Zug des Mythus. Da nun in der originalen prähistorischen Kunst
Europas pferdeköpfige Götterbilder fehlen, ist wohl anzunehmen, dass man erst
unter dem Einflüsse der orientalischen Bildnerei der mitgebrachten Vorstellung-
einer pferdegestaltigen Gottheit diesen fremdartigen Ausdruck gab. Die Erin-
nyen, die Harpyien, die Gorgonen erscheinen durch ihre Parallelisirung mit
Demeter als das, was sie auch nach aller sonstigen Wahrscheinlichkeit ur-
sprünglich sind, als Erd- und Todesgöttinnen, als Muttergestalt en, die erst eine
jüngere Erklärung zu wegraffenden Sturmwolken machte, weil man sich die
Geister der Abgeschiedenen im Winde einherziehend dachte. Der Wind be-
fruchtet ja auch die Erde, nicht die Wolken. So finden die Pferdedarstellungen
der prähistorischen Kunst als Urgestalten des europäischen Mythus befriedigende
Erklärung.
5. Vogelfiguren.
Es möge nun gestattet sein, im Zusammenhang mit den zuletzt angestellten
Betrachtungen einer Thiergestalt zu gedenken, welche allerdings auf dem Platten-
wagen von Strettweg keinen Platz gefunden hat. Dafür aber dominirt sie in
anderen Wagengebilden dieser Zeit, indem sie mit ihrem Leibe den Kessel
bildet oder mit ihrem Kopfe denselben überragt. Diese Gestalt, welche auch
sonst in Werken der ersten Eisenzeit einen hervorragenden Platz einnimmt, ist
die Vogelgestalt. Da es bei solchen Gebilden weniger auf die Technik als
auf den Sinn ankommt, werden wir uns erlauben, wie schon in der Betrachtung
von Poss und Reiter, hier neben plastischen Werken auch solche der Zeichnung
zu berücksichtigen.
Der Vogelfigur und Vogelprotome der ersten Eisenzeit Mitteleuropas
habe ich eine eigene Untersuchung gewidmet,2) und es dürfte zweckmässig
sein, das Wesentliche derselben hier mit einigen Zusätzen und Erweiterungen
zu wiederholen.
Schon die Pferdefigur hat uns veranlasst, des Reihen oder Gruppen gleich-
artiger Gestalten bildenden Thier Ornamentes zu gedenken. Das Thier-
ornament ist, rein formell genommen, eine Erscheinung, die in mehrere Aeste
und Zweige auseinandergeht. Es verwendet die Thiertypen, wie wir schon
beim Rosse gesehen haben, entweder in voller Gestalt oder in Bruchstücken,
unter welchen der Kopf als der vornehmste, kenntlichste und bedeutungsvollste
Theil die erste Rolle spielt. Ganze Figuren sind, wenn sie in der Mehrzahl
’) Ilias, S. 63, Anm.
2) „Die ornamentale Verwendung der Thiergestalt in der prähistorischen Kunst,“ Mitth.
Anthr. Gesellsch. Wien XXII, 1892, S. 107.
Die Plastik der ersten Eisenzeit.
Pegasus. Es ist eine ansprechende Vermuthung Milchhöfer’s,1) dass die Wendung
der Sage, nach welcher Pegasus aus dem durchschnittenen Halse der Mutter
entsprang, durch die ursprüngliche Vorstellung einer pferdeköpfigen Gorgo,
d. i. also einer ursprünglich in Pferdegestalt gedachten Erdgöttin, wie Demeter-
Erinys und die Harpyie Podarge, hervorgerufen worden sei. Solche Misch-
figuren verstand man später nicht mehr und erklärte sie durch einen aben-
teuerlichen Zug des Mythus. Da nun in der originalen prähistorischen Kunst
Europas pferdeköpfige Götterbilder fehlen, ist wohl anzunehmen, dass man erst
unter dem Einflüsse der orientalischen Bildnerei der mitgebrachten Vorstellung-
einer pferdegestaltigen Gottheit diesen fremdartigen Ausdruck gab. Die Erin-
nyen, die Harpyien, die Gorgonen erscheinen durch ihre Parallelisirung mit
Demeter als das, was sie auch nach aller sonstigen Wahrscheinlichkeit ur-
sprünglich sind, als Erd- und Todesgöttinnen, als Muttergestalt en, die erst eine
jüngere Erklärung zu wegraffenden Sturmwolken machte, weil man sich die
Geister der Abgeschiedenen im Winde einherziehend dachte. Der Wind be-
fruchtet ja auch die Erde, nicht die Wolken. So finden die Pferdedarstellungen
der prähistorischen Kunst als Urgestalten des europäischen Mythus befriedigende
Erklärung.
5. Vogelfiguren.
Es möge nun gestattet sein, im Zusammenhang mit den zuletzt angestellten
Betrachtungen einer Thiergestalt zu gedenken, welche allerdings auf dem Platten-
wagen von Strettweg keinen Platz gefunden hat. Dafür aber dominirt sie in
anderen Wagengebilden dieser Zeit, indem sie mit ihrem Leibe den Kessel
bildet oder mit ihrem Kopfe denselben überragt. Diese Gestalt, welche auch
sonst in Werken der ersten Eisenzeit einen hervorragenden Platz einnimmt, ist
die Vogelgestalt. Da es bei solchen Gebilden weniger auf die Technik als
auf den Sinn ankommt, werden wir uns erlauben, wie schon in der Betrachtung
von Poss und Reiter, hier neben plastischen Werken auch solche der Zeichnung
zu berücksichtigen.
Der Vogelfigur und Vogelprotome der ersten Eisenzeit Mitteleuropas
habe ich eine eigene Untersuchung gewidmet,2) und es dürfte zweckmässig
sein, das Wesentliche derselben hier mit einigen Zusätzen und Erweiterungen
zu wiederholen.
Schon die Pferdefigur hat uns veranlasst, des Reihen oder Gruppen gleich-
artiger Gestalten bildenden Thier Ornamentes zu gedenken. Das Thier-
ornament ist, rein formell genommen, eine Erscheinung, die in mehrere Aeste
und Zweige auseinandergeht. Es verwendet die Thiertypen, wie wir schon
beim Rosse gesehen haben, entweder in voller Gestalt oder in Bruchstücken,
unter welchen der Kopf als der vornehmste, kenntlichste und bedeutungsvollste
Theil die erste Rolle spielt. Ganze Figuren sind, wenn sie in der Mehrzahl
’) Ilias, S. 63, Anm.
2) „Die ornamentale Verwendung der Thiergestalt in der prähistorischen Kunst,“ Mitth.
Anthr. Gesellsch. Wien XXII, 1892, S. 107.