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Hoernes, Moritz
Urgeschichte der bildenden Kunst in Europa: von den Anfängen bis um 500 vor Christi — Wien: Druck und Verlag von Adolf Holzhausen, 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.62929#0146

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Die Kunst im Zeitalter der jüngeren Wirthschaftsstufen.

meinsamkeit der geistigen Grundlagen — leicht Aufnahme und Nachahmung
finden.
Es fragt sich nun, ob das Letztere nicht auch in Europa der Fall war,
und wir glauben zeigen zu können, dass unser Continent zum ägyptisch-vorder-
asiatischen Orient in gleichem Verhältnisse stand wie etwa die malaiische Insel-
welt zum indischen oder viele Indianerstämme Südamerikas zum peruanischen
Cultur kreise.
Die gesammte Urgeschichte Europas zeigt uns ein Spiel von Culturkräften,
unter welchen man drei als besonders wirksam herausheben kann. Sie herrschen
zum Theile nebeneinander, zum Theile nacheinander. Es sind dies: 1. die
Anfänge autochthoner primitiver Cultur, — 2. das Vordringen oder Einfluss-
nehmen des Orients als eines Länderkreises mit früher entwickelter Civilisation,
— 3. das Zurückdrängen des Orients oder seines Einflusses nach der Er-
starkung der europäischen Cultur.
Um den ersten Factor in seiner Reinheit kennen zu lernen, wird man
nach Möglichkeit die tiefsten Schichten orientferner Länder aufsuchen. Will
man aber das Vor- und Zurückdrängen des Orients beobachten, so wird man
natürlich an solchen Punkten Europas Posto fassen, wo das Spiel der Kräfte
am deutlichsten zum Ausdruck kommt, nicht im Norden oder im Westen,
sondern auf den südlichen Halbinseln unseres Continents.
In der Urgeschichte Südeuropas enthüllt sich ein geographisch vorbedingter
Parallelismus zwischen Griechenland und Italien. Am Hellespont und am
ägäischen Meere sehen wir im zweiten Jahrtausend Aehnliches vor sich gehen
wie im ersten Jahrtausend an der Adria und dem tyrrhenischen Meere. Beide
Gebiete haben einerseits weiter im Norden ihre gutstudirten Fundstätten, deren
zahlreiche Culturschichten mehr auf localer Entwicklung beruhen (wie in Hissar-
lik und in der Umgebung von Bologna), andererseits weiter im Süden ihre
reicheren Fundstellen, an denen der orientalische Einfluss sich in seiner grössten
Stärke zeigt (wir nennen als Typen einerseits Mykene und Tiryns, andererseits
die berühmten Gräberfelder Etruriens: Corneto, Vulci, Caere u. s. w.).
Diese Gebiete und Fundplätze sind es, welche für die vorgeschichtliche
Metallzeit in Europa „Chronometer“ bilden: die östlichen für die Kupfer- und
Bronzezeit, die westlichen für die erste Eisenzeit. Es ist kein Räthsel, warum
orientalischer Einfluss während des zweiten Jahrtausends im östlichen, während
des ersten im westlichen Mittelmeere blüht und gedeiht. Dies ist die einfache
Folge jenes dritten Factors, der Reaction erstarkter europäischer Cultur gegen
den Orient. Wo aus geographischen Gründen der orientalische Einfluss früher
blüht, dort verfällt er auch wieder früher; denn der Verfall durch Erstarkung
des von ihm Genährten ist seine Consequenz und sein Gesetz.
Unter den neuen Ansätzen zur Entwicklung einer Bildkunst, welche
Europa nach dem Ausgang der reinen Jägerstufe hervorgebracht hat, befinden
sich keine, die wir an den Beginn der jüngeren Steinzeit verlegen dürften.
Die Hemmung war vollständig und anhaltend. Rohe Stein- und Baumsäulen
werden im ganzen Continent als Cultgegenstände gedient haben. Merkwürdiger-
weise treffen wir die aufgerichteten Denksteine, welche „Menhirs“ genannt
 
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