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4 EXKURS ZUR GESCHICHTE DER MARIA-SCHNEE-
LEGENDE, IHRER VERBREITUNG UND IHRER
ILLUSTRATIONEN

Ein gravierendes Versäumnis der Kunstwissenschaft im Bemühen um ein inhalt-
liches Verständnis des Aschaffenburger Maria-Schnee-Altares war der Verzicht
auf eine detaillierte Untersuchung zur Ikonographie und zur Bildtradition von
Maria-Schnee-Darstellungen. Die Forschung ist vielmehr der von Zülch apo-
diktisch getroffenen Aussage, wonach „kein eigener Typ der Maria-Schnee ikono-
graphisch geschaffen oder erforderlich war",1 kritiklos gefolgt, mit der Konse-
quenz, daß die vorliegenden ikonographischen Studien zu Grünewalds Stuppacher
Madonna - als dem mutmaßlichen Mittelbild des Maria-Schnee-Altares - im we-
sentlichen nur Ansammlungen von Bedeutungsanalysen zu Einzelmotiven der Ta-
fel sind, die dann je nach der dogmatischen oder ideologischen Ausrichtung des
Autors zu Gesamtbildern zusammengezogen werden konnten. Wie wir gesehen
haben, reicht das Spektrum der Interpretationen von der Verherrlichung der ma-
ter Dei und der Immaculata Conceptio über massive vorreformatorische Kritik an
der Kirche, besonders an den Zuständen der Kurie in Rom, bis hin zu antizipato-
risch verbildlichtem anthroposophischem Gedankengut. Für die Schneewunderta-
fel in Freiburg begnügte man sich mit der Hervorhebung der inhaltlichen Korre-
spondenz zum Legendentext und betonte die kompositionelle Abhängigkeit von
den Fassadenmosaiken von Santa Maria Maggiore in Rom oder von Masolinos
Maria-Schnee-Bild aus derselben Kirche.2 Weitergehende Untersuchungen zu Ma-
ria-Schnee-Darstellungen unterblieben ebenso wie solche zur Verbreitung der
Maria-Schnee-Verehrung außerhalb Roms. Die Frage, welche inhaltlichen Dimen-
sionen der Legende es zum einen ermöglichten, es zum anderen dem Stifter Hein-
rich Reitzmann überhaupt erst erstrebenswert erscheinen ließen, die doch stark
lokal auf Rom und die Kirche Santa Maria Maggiore ausgerichtete Feier gegen
viele Widerstände an der Aschaffenburger Stiftskirche einzuführen, wurde nicht
gestellt. Ein bloßes Hingezogensein zu der während seines Aufenthalts in Rom
dort angeblich „aufbrechenden Volksfrömmigkeit", wie sie Gottron unterstellt,3
reicht zur Begründung der Motive Reitzmanns wohl nicht aus.

Um die Diskussion der Zugehörigkeit von Matthias Grünewalds Stuppacher
Madonna zum Aschaffenburger Maria-Schnee-Altar auf eine neue Basis zu stel-
len, muß deshalb von Heinrich Reitzmanns Feststellung ausgegangen werden, wo-
nach er das Fest der Maria Schnee in Aschaffenburg so eingeführt sehen wollte,
wie er es in Rom kennengelernt hatte. Das heißt, daß die Bildtradition der Maria-
Schnee-Thematik an ihrem Entstehungsort, aber auch ihre Verbreitung außerhalb

1 Vgl. Zülch 1938, S. 233.

2 Vgl. u. a. Rolfs 1920; Saran 1981; und Sarwey 1983.

3 Vgl. Gottron/Benzing/Fischer/Riedel 1981, S. 228.

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