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welchem Wege und in welchem Kontext diese frühen Adaptionen des Maria-
Schnee-Titels erfolgt sind, wissen wir nicht. Es liegt jedoch nahe, die Vermittler-
rolle in diesen Ausnahmefällen dem Franziskanerorden zuzuschreiben. Denn eine
breite Aufnahme der Feier in die offiziellen kirchlichen Kaiendarien läßt sich auch
in den Niederlanden erst seit dem 15. Jahrhundert belegen: In Utrecht wurde sie
1430 auf Beschluß des Domkapitels eingeführt, und die dortige Sattlerzunft er-
richtete später an der Buurkerk einen der „St. Maria ter Sneeuw" geweihten Al-
tar.62 Noch vor der Mitte des 15. Jahrhunderts gründete die Brügger Schneider-
zunft eine Maria-Schnee-Bruderschaft, die zur Feier ihrer Gottesdienste eine ei-
gene Kapelle im Chor der Liebfrauenkirche unterhielt und der, neben anderen
berühmten Künstlern, seit 1473 auch der Maler Hans Memling angehörte.63 Dar-
über hinaus wurde in Venlo seit 1485 am Maria-Schnee-Tag ein Ablaß gewährt, in
der St. Lorenzkirche in Rotterdam ist die Feier seit 1491 belegt, und in Veere gab
es bereits vor 1500 eine der Maria Schnee geweihte Kirche.64

4.2 Zu den Kontexten und zur Bildtradition von Schneewunderdarstellungen

Die frühesten Illustrationen der römischen Schneewundergeschichte entstanden
im letzten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts. Entsprechend der fast ausschließlichen
Verbreitung der Legende im Rahmen der Liturgie sind sie, wie van Os gezeigt
hat,65 in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts vor allem als Buchschmuck zu
finden, in Antiphonarien, Lektionarien oder Brevieren. Es gibt nur eine, aber
bedeutende, Ausnahme: die Mosaiken Filippo Rusutis an der Fassade von Santa
Maria Maggiore, mit denen die Ausbildung einer eigenständigen Bildtradition für
Schneewunderdarstellungen beginnt. Bevor wir uns jedoch diesem Schlüsselwerk
und den verschiedenen davon ausgehenden Entwicklungssträngen innerhalb und
außerhalb Roms zuwenden, wollen wir die davon weitgehend unabhängig geblie-
bene und in sich abgeschlossene Entwicklung des Themas in der Buchmalerei kurz
skizzieren.

4.2.1 Maria-Schnee-Darstellungen in der Buchmalerei

Die von van Os zusammengestellte Reihe der Maria-Schnee-Miniaturen beginnt
mit einer in die frühen 1320er Jahre zu datierenden S-Initiale eines Antiphonars

62 Vgl. Kronenburg II, S. 311; und Kronenburg IV, S. 220.

63 Zur Brügger Maria-Schnee-Bruderschaft vgl. Martens 1992, S. 232-236; sowie zur Mit-
gliedschaft Memlings ergänzend Schouteet 1955; und De Vos 1994, S. 408, Nr. 8 und
Nr. 10. Vincennes bezeichnet die linke Chorschlußkapelle der Brügger Liebfrauenkir-
che als Maria-Schnee-Kapelle; vgl. Vincennes 1958, S. 57 und 59. Heute hängt im rech-
ten Umgang der Kirche ein 1575 datiertes Maria-Schnee-Bild des Brügger Malers
Anthuenis Claeyssens; zu Claeyssens vgl. Thieme/Becker VII, S. 31-32.

64 Vgl. Kronenburg II, S. 312.

65 Vgl. van Os 1968.

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