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stitutionalisierte Form der Maria-Schnee-Verehrung nicht mehr länger als das sin-
gulare Ereignis angesehen werden, als das es die Forschung bisher behandelt hat.
Nicht nur in Italien, auch nördlich der Alpen gab es schon im 15. Jahrhundert zahl-
reiche Vorläufer. Als der Reitzmannschen Stiftung am nächsten verwandt muß
hier die finanzielle Ausstattung der 1430 am Dom zu Utrecht mit Zustimmung des
Kapitels eingeführten Maria-Schnee-Feier genannt werden. Initiator und Geldge-
ber war in diesem Falle der am Dom residierende Kanoniker Arnoldus Waal, der
mit dieser Dotierung - ähnlich wie später Reitzmann - eine prächtige Ausgestal-
tung „seines" Marienfestes auch für die Zukunft sicherstellen wollte, nämlich eine
Feier, ,mit Gesang und mit dem Lesen der Geschichte und der Wunder des nämli-
chen Festtages'.1 An die frühe Einführung des Festes in Brügge, Venlo, Rotterdam
und Veere, an die noch weiter zurückreichende Existenz von Maria-Schnee-Bru-
derschaften in Sluis und Nijmegen sowie an die internen Ordensüberlieferungen
der Franziskaner und Karmeliter sei lediglich noch einmal erinnert.2

Die stillschweigend vorausgesetzte Sonderstellung der Aschaffenburger Stif-
tung wird zusätzlich dadurch relativiert, daß die Maria-Schnee-Legende wohl
schon um die Mitte des 15. Jahrhunderts, spätestens jedoch zu Beginn der siebzi-
ger Jahre, als sie in den Mirabilia Romae zwar gekürzt, aber in deutscher Sprache,
gedruckt vorlag, bei einem größeren Publikum als bekannt vorausgesetzt werden
kann. Damit ist auch für die Gebiete nördlich der Alpen bereits lange vor Reitz-
manns Romreise von einer nicht mehr nur im elitär kirchlichen Bereich, sondern
auch unter Laien allgemein verbreiteten Kenntnis der Schneewundergeschichte
auszugehen. In den in Nürnberg und New York [Abb. 62; 63] überlieferten Ein-
blattholzschnitten haben diese veränderten Rezeptionsbedingungen gleichzeitig
ihren bildlichen Niederschlag gefunden. Darüber hinaus lassen sich für die künst-
lerische Bearbeitung des Maria-Schnee-Stoffes aber noch zwei weitere Beispiele
anführen, die vor Grünewalds Aschaffenburger Retabel entstanden sind. Zum ei-
nen ist dies der oben bereits ausführlich vorgestellte Altarflügel von 1480 in
Brünn3 [Abb. 74], zum anderen ein ca. 1480-83 angefertigter niederländischer Flü-
gelaltar im Wallraf-Richartz-Museum in Köln. [Abb. 107] Auf dessen zweigeteil-
tem Mittelbild ist die Gründungslegende von Santa Maria Maggiore in Form von
sechs im linken Bildmittelgrund simultan geschilderten Einzelszenen4 in eine Dar-

1 Vgl. Kronenburg II, S. 111.

2 Vgl. Kap. 4.1; und Kap. 4.2.1.

3 Vgl. Kap. 4.2.3.1.

4 Die motivisch in mehrerer Hinsicht ungewöhnliche Szenenfolge beginnt am rechten
Bildrand mit der Erscheinung Mariens vor dem Patrizierehepaar. Danach springt der
Erzählstrang auf die andere Seite, zur Erscheinung der Madonna vor Papst Liberius, an
die sich unmittelbar der quasi nur in einen anderen Raum des Palastes verlegte Besuch
des - in diesem Falle von seiner Frau begleiteten - Patriziers Johannes im Lateran
anschließt. Aus dem weiteren Geschehen bleiben der Patrizier und seine Frau dann je-
doch ausgeblendet. Man sieht als nächstes den Papst und einen Kardinal zu der im Bild
rechts oben gezeigten Stelle des wunderbaren Schneefalls reiten (!), auf ihrem be-
schwerlichen Weg lediglich von zwei niederen Klerikern zu Fuß unterstützt. Beim
Schneefeld angekommen, umreißt Liberius den Grundriß der zu bauenden Kirche,

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