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„REALISMUS“ UND DIE GRENZEN DES BILDLICHEN DENKENS 301
Vorstellungen der Höhe, Weite, Unermeßliclikeit und Unerschöpflich-
keit? Es blieb immer bei Bildern, immer beim Zurückführen des Un-
endlichen auf Endlichkeitsvorstellungen und führte dadurch zur.Ab-
schwächung und Veräußerlichung des Unendlichkeitsbegriffs. Ewig-
keit war keine unermeßliche Zeit. Jede Sensation, einmal geäußert,
verlor ihre Unmittelbarkeit; jede Eigenschaft, Gott zuerkannt, nahm
ihm etwas von seiner Majestät.
Jetzt beginnt das gewaltige Ringen, um mit dem Geist zur abso-
luten Bildlosigkeit der Gottheit emporzuklimmen. An keine Kultur
oder Periode gebunden, ist es überall und immer wieder dasselbe.
„There is about mystical utterances an eternal unanimity which ought
to make a critic stop and think, and which brings it about that the
mystical classics have, as has been said, neither birthday nor native
land“1). — Die Stütze der Phantasie kann jedoch nicht sofort preis-
gegeben werden. Stück für Stück wird das Unzulängliche der Aus-
drucksmöglichkeit erkannt. Die konkreten Verkörperungen der Idee
und die vielfarbigen Gewänder der Symbolik fallen zuerst weg: dann
ist keine Rede mehr von Blut und Genugtuung, nicht mehr von Eu-
charistie, von Vater, Sohn und Heiligem Geist. In Eckharts Mystik
wird Christus fast nicht mehr genannt und ebensowenig die Kirche
und die Sakramente. Doch der Ausdruck für das mystische Schauen
des Seins, der Wahrheit, der Gottheit, bleibt auch dann noch an natür-
liche Vorstellungen gebunden: an die des Lichts, der Ausdehnung.
Dann schlagen diese ins Negative um: in Stille, Leere, Dunkelheit.
Darauf erkennt man auch das Unzureichende jener form- und inhalt-
losen Begriffe, und man trachtet danach, ihre Mängel dadurch zu be-
seitigen, daß man sie fortwährend mit ihrem Gegensatz zusammen-
koppelt. Schließlich bleibt nichts anderes übrig als die reine Nega-
tion; die Gottheit, die in Nichts was besteht erkannt wird, weil sie
über allem steht, wird durch den Mystiker Nichts genannt. So tut es
Scotus Eriugena2), so Angelus Silesius, wenn er dichtet:
de laud. glor. Virg. Mariae, und passim. Die Anwendung der Supertermen ent-
lehnt er schon dem Dionysius Areopagita.
*) James, Varieties of rel. exp., p. 419.
2) Joannis Scoti De divisione naturae, 1. III c. 19, Migne, Patr. latina,
t. CXXII, p. 681.
 
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