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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 51.1940

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Gegenwart und Vergangenheit
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https://doi.org/10.11588/diglit.10972#0058

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INNEN-DEKO RATION

»SCHREIBZIMMER« TÜRE, TÄFELUNO UND MÖBEL: EICHE, ZIEGELROTE BEZÜGE WEISS GEMUSTERT

es ein schöpferisches Ergreifen, ein liebendes Herein-
ziehen geschichtlicher Form- und Tatleistungen ins
Heute, worum es sich dabei handelt. Selten haben
sich so viele Biographien um die Auferweckung
großer Persönlichkeiten von einst bemüht, und dieses
Bemühen greift weit über die volkseigne Geschichte
hinaus, in graue Vorzeit, in die ganze Vergangenheit
unsres Erdteils. Was kann andres hieraus geschlossen
werden, als daß die Menschen der Gegenwart im
selben Augenblick, da sich das eigne Leben kräftiger
in ihnen regt, auch bewußter und verantwortlicher
das Erbe aller Vergangenheiten antreten? Alles, was
einst war, ist uns sprechender, aufschlußreicher ge-
worden als unsern Vorgängern, und wir begreifen
von eigner Lebensstärke her besser als sie, daß ein
Cäsar und ein Augustus, ein Äschylus und ein Pindar,
ein Robespierre und ein Cromwell uns wichtig und
zugeordnet bleiben. Wo Leben neu erwacht, da er-
weist sich keine Vergangenheit als tot, sie steht auf
und nimmt an unsern täglichsten Daseinsanliegen
teil. Aber sie tut dies, ohne sich dem Gesetz dieses

neuerwachten Lebens entgegenzustellen, ohne eine
lebenhemmende Autorität zu beanspruchen. Die
Antike — wie lange war sie die Angst und das
schlechte Gewissen strebender Geschlechter, die
schon von der ersten Stunde an verzweifeln mußten,
die »großen Unerreichlichen zu erreichen«! Vielleicht
lebt heute in Europa die erste Generation, der bei
vollem Wissen um die antike Herrlichkeit die von
Schiller verkündigte Wahrheit, daß über uns dieselbe
Sonne steht wie überm Haupte Homers, in Fleisch
und Blut übergegangen ist. Wir erinnern uns noch,
wie am Beginn der kunsthandwerklichen Erneue-
rungsbewegung der neunziger Jahre skrupulös ge-
fragt wurde, ob der moderne Mensch denn irgend-
welche älteren Möbelformen in sein Haus nehmen
könne, ohne sich von ihnen widerlegt zu fühlen.
Vielleicht war es eine erzieherische Notwendigkeit,
daß diese Frage gestellt und sehr ernst genommen
wurde; denn ohne diese Genauigkeit der Abgrenzung
wäre der Schritt zur Neuform wohl nicht gelungen.
Aber für uns existiert eine solche Frage nicht mehr. -
 
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