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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 51.1940

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Michel, Wilhelm: Raumkunst im Lebensdienst
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https://doi.org/10.11588/diglit.10972#0063

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in sich faßt. Wenn die Gipfelleistungen ^u^^r
scher Formung in unseren Wohnräumen^^ eine
geworden sind, so erleben wir zum A"Sg dienstes,
Hebung des totalen künstlerischen LeDei chbat
die noch unsren Vätern sagenhaft und uner ^
erschienen wäre. Darin liegt ein Fortsehnt ,
leicht erst später seine ganze Tragweite un
Gültigkeit vor den höchsten Kulturzielen entn
wird. Es geschieht das Große, daß Leibhcl
Seelisches p««*1

i gleicher Wichtigkeit erhoben
wird und in der Wohnform eine verschwisterte Wür-
digung findet. Kann das nicht als Zeichen gelten da-
für, daß unsre Wohnungsbehandlung eingesetzt ist
für die säkulare Aufgabe, das Leibliche und das Gei-
stige neu zusammenzubringen und so die Verwirk-
lichung des Menschen neu zu unterbauen? Wir
müssen nur zurückdenken an die Zeit, da Nietzsche
die neue Ehre des Leibes anmeldete als die uner-
läßliche Vorbedingung zur Entstehung einer echten
Kultur. Die geistigen Folgerungen aus dieser For-
derung haben sich seitdem in Marsch gesetzt, mit
der langsamen Wucht, die einem solchen Jahrtau-
sendschritt geziemt. Aber von der modernen Wohn-
kultur kann man sagen, daß sie diese neue Einstellung

auf das Ganze der menschlichen Wirklichkeit von
Anfang an im Leibe gehabt hat. Sie hat ebenso von
vornherein die neue soziale Einheitlichkeit des Volkes
als Ziel und Antrieb mit sich geführt. Und diese Ein-
stellung auf ein Ganzes, die mit veralteten Unter-
scheidungen aufräumt, ist ein voller Gegenwert für
die auf die künstlerische Einzelform früher ver-
wendete Intensität. Statt daß dem Auge einzelne
Feste geboten werden, erhebt sich in der modernen
Wohnungsgestaltung das ganze Leben zum Fest;
es erreicht durchgängig ein höheres Niveau. Wer
möchte die Hof- und Gassenenge alter städtischer
Patrizierhäuser eintauschen für Licht und Luft, wie
sie heute das schlichteste Siedlungshaus, jeden Ka-
sernen-Neubau beglücken? Selbstverständlich ist
damit kein grundsätzlicher Verzicht auf das hoch-
wertig durchgeformte Einzelding gegeben. Unsre
Zeit bekundet damit nur, daß ihr für diesen ent-
scheidend wichtigen Augenblick der europäischen
Kultur das große Anliegen im Vordergrund steht,
die Ebene der Minimalforderungen in ihrer ganzen,
riesigen Breite zu erhöhen und den Reingewinn an
Lebensglück selbst für den Letzten noch um einen
niemals mehr zu unterschreitenden Grad zu steigern.
 
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