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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 51.1940

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Michel, Wilhelm: Raumverhältnisse aus seelischem Blickpunkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.10972#0073

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INNEN-DEKORATION

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»WOHNRAUM MIT OFFENEN BÜCHERREGALEN« ENTWURF: ARCHITEKT EDGAR HORSTMANN-BERLIN

RAUMVERHÄLTNISSE AUS SEELISCHEM
BLICKPUNKT. Der Dichter behauptet bekannt-
lich, daß in der kleinsten Hütte Raum sei für ein
glücklich liebend Paar. Wer dürfte ihm widerspre-
chen? Er hat einfach recht. Denn wenn zwei Men-
schen sich vertragen, und wenn sie einander sogar
lieben, dann stören sie einander nicht, ob auch ihr
Zusammenleben auf das engste Heim beschränkt
bleibt. Die Liebe ersetzt sozusagen die mangelnden
Quadratmeter Bodenfläche - nicht etwa deswegen,
weil Liebe an sich genügsam macht, sondern des-
wegen, weil der Liebende die Nähe des Geliebten ja als
Glück, als Daseinsförderung empfindet. Hier hätten
wir also die Liebe gewissermaßen als Gegenkraft gegen
das Distanzbedürfnis, als raumsparenden Faktor.

Umgekehrt aber, in Fällen, wo Menschen durch
Raumnot zu dauerndem Zusammensein genötigt
sind, ohne daß ein Band ausgesprochener Liebe sie
verbindet - da entsteht Haß. Wir haben von Leucht-
turmwärtern gehört, die durch monatelanges Zu-
sammenhausen im engen Turmgelaß so weit kamen,
daß sie einander spinnefeind wurden. Sie pfauchten
einander grundlos an wie die Katzen oder taten sich

gar noch Schlimmeres zuleide. Als dringendstes Be-
dürfnis lernten sie kennen: Abstand, Trennung,
Raum für ein wenigstens teilweise ungestörtes
Eigenleben. Hier haben wir den Haß als eine Aus-
geburt der Raumnot; wir haben den Haß als den
Vater eines bestimmten Raumbedürfnisses; und im
selben Zuge haben wir den Raum, die räumliche
Distanz als eine Gegenkraft, als ein Vorbeugungs-
mittel gegen die Verfeindung. Ja, können wir ihn
nicht geradezu ein Mittel zur Schonung und Pflege
der vorhandenen Liebe nennen ?

Es ist ein interessantes Wechselverhältnis zwischen
Raumverhältnissen und seelischer Reaktion, wel-
ches wir hiermit berühren. Und man mag von da
aus einen neuen Blick in den Sinn des gepflegten
Heims, der Wohnung des Kulturmenschen tun.
Liebe ist es, die den Haushalt gründet; die erste,
stiftende Tatsache jeder Familie ist der aus der Liebe
erwachsende Trieb zum gemeinsamen Leben. Damit
sich aber nicht inmitten dieser Lebensgemeinsamkeit
eine Quelle der Verfeindung auftue, gliedert sich das
H eim in Räume, um das eingebrachte Kapital an
Liebe vor nutzlosem Verzehr zu bewahren. - w. M.
 
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