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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 51.1940

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Merz, Albrecht L.: Gewachsene und gestaltete Form
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https://doi.org/10.11588/diglit.10972#0106

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96

GEWACHSENE UND GESTALTETE FORM

VON ARCHITEKT ALBRECHT LEO MERZ-STUTTOART

Wie tief müssen wir uns mit der Pflanze im Inner-
sten verbunden fühlen, daß wir immer wieder,
wenn es gilt, unseren Lebensraum melodisch zu er-
füllen oder uns über begriffliche Formulierungen zu
erheben, uns ihrer heimlichen Wunder erinnern!

Jauchzend lassen wir sie aus steilen Stengelgläsern
steigen, um zu erleben, wie sehr die ganze Umgebung
mitschwingend sich einbezogen fühlt in ihren be-
lebenden Rhythmus. - Bauchige Vasen füllen wir
mit ihrer üppig bunten Last, um ein Sinnbild des
wilden Rauschens ihrer festlich-farbigen Pracht aus
der Weite landschaftlicher Entfaltung in unsere
nächste Nähe zu zaubern.

Am überzeugendsten aber ist die einzigartige Wir-
kung der pflanzlichen Formkraft dort, wo ihr spring-
brunnenartiges Entfalten, vor allem in Gegensatz-
wirkung zu einem sicher in sich ruhenden Gefäß,
berufen zu sein scheint, dem Formreichtum einer auf-
rauschenden und zurücksinkenden Wasserkaskade
eine natürlich-lebendige Beständigkeit zu verleihen.

Gerade weil das ungeheuere Tempo der Zeit vieles
verkümmern ließ, was uns in früheren beschaulichen
und besinnlichen Tagen Beglückung brachte, ver-
mag uns dieses pflanzliche Sein und Geschehen un-

endlich zu beschenken, um so mehr als es keiner
Vorbereitung und keines Aufrufs überlegender Kräfte
bedarf, weil es nur Melodie ist, die uns, ohne ins Be-
wußtsein zu greifen, in ihre stille, reine Führung
nimmt, aus der wir alsbald, wahrhaft befreit und
im Innersten erhoben, entlassen werden.

Nicht nur vermag zum Beispiel ein einfaches stilles
Gerank selbst den schweren Eichentisch, der so
selbstbewußt im Räume steht, als wäre der Raum
nur ihm zulieb gebildet, aus seiner allzu sicheren
Gefügtheit zu lösen, um ihm jene heimliche Schwebe
zurückzugewinnen, die das untrügliche Merkmal
alles wirklich Lebendigen ist - auch die Vase, die
der Bildner aus seiner Werkstatt entläßt, wohl be-
hütet in ihrer vollendeten Form durch die sichere
Führung der äußeren Kontur, — wie wird sie in ihrer
oft allzu selbstgefälligen Gesammeltheit neu belebt
durch das pflanzliche Ereignen! Ja: es scheint, als
ob sie erst durch die Einbeziehung des Pflanzlichen
in ihren Formbezirk befähigt würde, ihr Formgesetz
ganz zu erfüllen, sei es auf Grund der Spannungs-
steigerung infolge der gegensätzlichen Wirkung oder
auf Grund der sich gegenseitig unterstützenden Ge-
bärde der natürlichen und der künstlerischen Form.

STAATL. PORZELLAN-MANUFAKTUR-BERLIN »VASEN MIT BLAUMALEREI« DEKOR: ELSE MÖCKEL
 
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