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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 51.1940

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Michel, Wilhelm: Menschen und Gegenstände
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https://doi.org/10.11588/diglit.10972#0159

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»SPIELZIMMER« TÄFELUNG UND MÖBEL: RÜSTER GEBLEICHT, WÄNDE: RÖTLICH-BEIGE, BODEN: KORKPLATTEN

rat, das Haus selbst, alles auf raschen Verschleiß hin
zusammengepfuscht wie Strümpfe und Kleider, nicht
auf Pflege angewiesen, sondern herangeschwemmt
und fortgeschwemmt, wie Wasser aus der Leitung.
Aber die Frau Rat Goethe übersandte ihrem Sohn, als
er schon Minister war, einen »Nankinet zu Beinklei-
der und Weste - nur daran darfst Du Dich nicht sto-
ßen, daß es ein Überrock von mir war - wenn alles
gut gemacht ist - wird's ihm wohl niemand ansehen,
was es früher war.« Vielleicht ist es nicht nötig, daß
Stoffe so dauerhaft sind. Vielleicht kann unsre mo-
derne Wirtschaftsorganisation in gewissen Dingen
(von Kriegszeiten abgesehen) den raschen Verschleiß
nicht entbehren, weil sie ununterbrochene Beschäfti-
gung für die teuren Maschinen und für die Menschen-
hände braucht. Aber: Es gibt ein Kulturinteresse am
dauerwertigen Gegenstand. Das Dauerelement im
Menschen braucht ihn. Sein Geistiges muß sich auf
Bleibendes, auch im stofflichen Bereich, beziehen
können. So ist es wenigstens deutsches Empfinden.
Eine der schönsten Lobeserhebungen, die von fremder
Seite den Deutschen ausgesprochen worden sind, liegt

in jenem Wort eines Franzosen aus dem 16. Jahrhun-
dert: »Les Allemands ont leur entendement es mains.«
Das Wort sieht zunächst nicht nach einem Lobe aus:
Die Deutschen haben ihren Verstand in den Händen -
aber man erkennt es als solches, wenn man beherzigt,
daß das Wort aus einer Zeit stammt, als Deutschland
die officina artium, Werkstatt und Herd alles Quali-
tätschaffens in Europa war. Deutsche Geschützgießer,
Waffenschmiede und Büchsenmacher, deutsche Uhr-
macher, Feinmechaniker und sonstige Kunsthand-
werker wurden da in allen europäischen Ländern ge-
sucht, weil aus ihrem treuen, verständigen Gewerbe-
fleiß echte, schöne Stücke hervorgingen - Geist, im
Gegenstand gebunden; Menschentum, in der Werk-
arbeit objektiviert. Das ist es auch, was im Grunde
unsre heutige Wiederanknüpfung an altes deutsches
Handwerk meint. Nur Toren können glauben, es biete
sich uns da eine bequeme Formtradition dar, auf der
wir als auf etwas garantiert Vaterländischem aus-
ruhen dürften. Aber es geht um Tieferes; es geht um
den treuen, gewissen Geist, es geht um das Herz, das
ruhig ist in seiner Pflicht gegenüber dem Gebilde, w. M.

1940. V. 4.
 
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