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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 51.1940

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Stilkräfte der Gegenwart
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https://doi.org/10.11588/diglit.10972#0258

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248

INNEN-DEKORATION

»HAUS SCHUG« GROSSER WOHNRAUM. - WANDTAFELUNO : HELL AHORN MIT BRAUNEN FR1ESFASSUNOEN

STILKRÄFTE DER GEGENWART

Eine Gegenwart wird uns in ihren lebendigen Kräf-
ten nur deutlich durch den Vergleich mit irgend-
einer Vergangenheit. Denn die andersartige Vergan-
genheit läßt uns erkennen, daß nichts vom Gegen-
wärtigen selbstverständlich ist, sondern daß es auf
gewandelter Gesinnung, auf Wahl und Wille beruht -
sei dieser Wille auch nur jener geheime, unterbe-
wußte »Stilwille«, den die Strzygowski-Schule vor
mehreren Jahrzehnten entdeckt hat. Wir haben heute
einen weitgehend durchgebildeten Möbelstil, und wir
haben auch Theorien, Programme, die uns erzählen,
was geistig, kulturell, sozial mit ihm gewollt ist.
Aber Programme kommen aus dem Bewußtsein, und
eben deshalb erklären sie nur selten, was an eigent-
lichen, tieferen Kräften und unbewußten »Absichten«
in einem Neuen wirkt. Als in der europäischen Möbel-
gestaltung um 1720 die Wendung vom Barock zum
Rokoko eintrat, da gab es keinen Programmatiker, der
etwa erklärt hätte, daß man nun zu einer sinnlich-

gelockerten Innervierung des Möbelbaus überzugehen
gedenke, zu einem dem weiblichen Körper abge-
lauschten Schwellen und Ebben der Formen, zu
einer Erweichung des Tektonischen und zu einer ge-
wächsartigen Konstruktion, bei der alle Glieder des
Möbels nach fließender Melodie untereinander zu-
sammenhängen. Erst dem späteren, rückschauenden
Blick wurde es möglich, die unbewußten Formantriebe
des Rokoko in dieser Weise zu deuten.

Wir schieben heute bei der programmatischen Be-
stimmung unsres Möbelstils technische, hygienische,
soziale, handwerkliche, kunstmoralische, nationale
Gesichtspunkte in den Vordergrund; wir berufen uns
auf eine neue Wertschätzung der Materialechtheit
und der zwecklichen Gestaltung. All dies wirkt mit;
aber im Entscheidenden ist es eben doch der gewan-
delte Mensch, der den gewandelten Stil trägt. Gewan-
delt ist der Mensch nicht etwa in der Weise, daß ihm
das Schöne der Vergangenheit nicht mehr gefiele,
 
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