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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 51.1940

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Stilkräfte der Gegenwart
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https://doi.org/10.11588/diglit.10972#0260

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INNEN-DEKORATION

»HAUS SCHUC« GROSSER WOHNRAUM. _ BLICK VOM TREPPENPODEST ZUR SITZGRUPPE AM FENSTER

sichtsreich bearbeiten kann. Wir selbst mögen uns
als einzelne gelegentlich der arglosesten Entspan-
nung hingeben: unser Haus und Hausrat hält wäh-
renddem unverändert die Kraft und Gesinnung fest,
welche die uns zugehörige Welt gewährleisten. Mit
ihr könnte die lächelnde »variete et gaiete«, die »ge-
dämpfte und zarte Schwelgerei«, die Voltaire als
Merkmale der Wohnkultur seiner Zeit bezeichnete,
keinen Bund schließen.

Es lebt in der Gestaltungsweise jeder Kultur-
periode ein Ernst, ein Gesetz, die nicht mit sich han-
deln lassen. Sie wirken in den Bereichen des bloß
Nützlichen wie in den Bereichen des Luxus und
Höchstverfeinerten; sie wirken auch, wie gesagt,
über die Grenzen der Nationen hinaus als grundle-
gende Norm der Lebensempfängnis und Lebensge-
staltung, welche der jeweiligen Zeit zugewiesen sind.
Für unsre Zeit ist diese Norm geprägt als unpatheti-
sche, unreflektierte, tatsächliche Machtausübung,
als direkter, begriffsklarer Verkehr mit Stoffen und
Aufgaben. Sie macht sich nicht nur in der räumlichen

Gestaltung geltend, also in Architektur und Hausrat,
sie ist gleichsinnig ausgedrückt auch auf demjenigen
Gestaltungsgebiet, auf dem sich alle betätigen: in der
Sprache. Sind die graziösen figurenreichen Bewegun-
gen, die ornamentierten Verschränkungen im Brief-
stil des 18. Jahrhunderts nicht das genaue Gegen-
stück zu den Kommoden und Tischen eines Cressent,
eines Caffieri, eines Migeon, die für die Fürstenhöfe
ihrer Zeit gearbeitet haben ? Und steht nicht das ge-
rade, »schmucklose« Aussprechen der Dinge, wie es
die heutige Schreibweise übt, in Beziehung zu dem
direkten, wesenhaften Möbelausdruck der Gegen-
wart, der nirgends erläutert, beschönigt, entschul-
digt, aufbauscht, verdeckt, sondern gelassene, mit
sich selbst identische Gebilde hervorbringt?

Vielleicht liegt in diesem Begriffe der Identität
mit sich selbst das eigentliche Schlüsselwort, das
nicht nur für die Gestaltungsweise des heutigen Men-
schen, sondern auch für ihn selbst gilt. Es ist von
Nietzsche in die Zeit gerufen worden, und zweifellos
ist damit über die Gegenwart Entscheidendes gesagt.
 
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