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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 53.1942

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Im Hause der Grossmutter
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https://doi.org/10.11588/diglit.10968#0073

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INNEN-DEKO RATION

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»AUS DER WOHN- UND MUSIKSTUBE« FLÜGEL: KIRSCHBAUM MIT BUCHSEINLAGEN. - AUSF. PFEIFFER-STUTTGART

dröhnte dumpf, wenn der Schuh an die Bohlen stieß.
Traulich war alles und ein bißchen unheimlich - ach,
und was für ein wunderbares Spielfeld für die Phan-
tasie, die Träume und die Märchen! Im Bodenraum
hatte einer vorzeiten — vielleicht ein Müllerknecht -
einen Verschlag abgeteilt und wohnlich gemacht.
Zwischen den Stützpfosten, die das Gebälk tragen
halfen, waren Bohlenwände angebracht, daran zog
sich über Eck eine Holzbank entlang, und vor dieser
stand ein schwerer Stegtisch mit gespreizten Beinen
und dicker Platte, von Rillen durchfurcht wie von
Runzeln hohen Alters. Die Decke bildete das schief-
ansteigende Gebälk mit dem Sparrenwerk, von dem
eine ehrwürdige Erdöllampe, breitbeschirmt, an einer
richtigen Gäulskette herabhing. Lehnenlose Schemel
standen umher, irdene Häfen, bemalte Tabakspfeifen-
köpfe und zerbeulte Zinnkrüge trieben sich auf dem
Balkenbord an der weißgetünchten Mauerwand her-
um, und schiefäugig sah von dieser Wand her das
Kupferstichbildnis eines geistlichen Herrn in die ver-
staubte Pracht herein: der berühmte Gottesmann
Menno Simonis, wie die Unterschrift sagte. Was hatte
er hier zu tun? Wohl mehr als ich und meine grüne

Jugend; denn die Vorfahren der Großmutter waren
Mennoniten gewesen, die hier in der Umgegend kleine
Gemeinden von tüchtigen, durch Fleiß und Red-
lichkeit ausgezeichneten Menschen gebildet hatten.

Staubig ging es freilich hier zu. Aber meine Kind-
heit erinnert sich keines Wohnraums, der auch nur
entfernt so anheimelnd gewesen wäre wie dieser Ver-
schlag im Speicher der alten Ölmühle. Als ich später
Andersens Märchen vom Höker und dem Kobold las,
hatte ich sofort die Örtlichkeit vor Augen: nicht anders
konnte die Bodenkammer des armen, braven Stu-
denten ausgesehen haben als die Kammer des Müller-
knechts. Zu Wilhelm Hauffs »Wirtshaus im Spessart«
gab sie mir das Vorbild, und immer, wenn eine Ge-
schichte oder Sage meine Phantasie in deutsche Ver-
gangenheit entführte, möblierte meine Einbildung die
Dorfschenke, die Arbeitsstube Luthers auf der Wart-
burg, irgendeine Trinkstube mit dem Material, das
mir der Speicher über der Ölmühle geliefert hatte.

Es war eben der Geist des Holzwerks dort gegen-
wärtig gewesen, verbunden mit dem Zauber, den jede
Vergangenheit ausübt, und dem Reiz des Abgelegenen,
Halbdunklen. Im Holzwerk ist eine Art von magi-
 
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