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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 53.1942

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Küchenkünste
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https://doi.org/10.11588/diglit.10968#0088

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INNEN-DE KOR ATI ON

AUS DEM EIGENHAUS DES ARCHITEKTEN »DIE KLEINE ELEKTRISCHE KÜCHE IM DACHGESCHOSS«

KÜCHENKÜNSTE

Kunst wird unter Menschen leicht zur Verkünste-
lung, Kultur artet zur Unnatur aus, wenn der
Trieb zum Verfeinern unbewacht seiner Wege geht.
Er wird dann blind, sucht nur seine eigne Betätigung
und verliert das aus dem Auge, was seine ewige
Richtschnur sein muß: den gesunden Vollmenschen.
Auf so mancher Seite der Kulturgeschichte findet man
wunderliche Dinge geschrieben von den Verirrungen,
in die sich ganze Zeiten und Völker gestürzt haben,
und nicht zuletzt ist die Küche oft zum Schauplatz
von Verkünstelungen geworden, die das Gelächter
oder das kopfschüttelnde Mitleid der Zeitgenossen
und der Nachwelt hervorgerufen haben. Bekannt sind
jene Menüs römischer Gastmähler, bei denen die
Speisen nicht nur aus den sonderbarsten Bestand-
teilen, wie Nachtigallen- und Pfauenzungen, bereitet
wurden, sondern auch in den phantastischsten For-
men auf den Tisch kamen. Petronius, Herodian,
Plutarch erzählen uns, wie bei so manchen Banketten
der Zweck der Sättigung völlig verschwand hinter
dem Bestreben, aus der Mahlzeit eine Augenfreude,

wohl gar ein Schauspiel oder eine Varieteszene zu
machen, wobei etwa ein als der rasende Ajax kostü-
mierter Histrione über ein gesottenes gehelmtes Kalb
herfiel mit Schwert und Spieß und es nach solchem Zer-
hacken freundlich grinsend an die begeisterten Gäste
verteilte. Kein Wunder, daß solche Gastmähler einen
halben Tag dauerten und daß ein Frühstück des Lucul-
lus ein Vermögen verschlang! Der nüchterne europä-
ische Norden leistete im Mittelalter stellenweise kaum
Geringeres an kulinarischer Narretei. Er liebte mit
indianerhafter Inbrunst die scharfenWürzen, er pflegte
an den Festtafeln der Mächtigen ein wunderliches
Attrappenwesen, wie es etwa spricht aus jener Riesen-
pastete auf dem Tisch eines Fürsten, aus der nach dem
Abschneiden ein aufgeputzter Hofzwerg hervorsprang.
Sehr hübsch hat Justus Moser, der berühmte deut-
sche Kulturkritiker des Rokokozeitalters, seinen
Witz an solcher Unnatur geübt. Er läßt eine Hofdame
an ihre Freundin auf dem Lande schreiben, nachdem
sie bei dieser eine Weile auf Besuch gewesen: »Das
heißt einmal auf dem Lande gewesen und nun auch
 
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