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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 53.1942

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Michel, Günther: Freies Wohnen
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https://doi.org/10.11588/diglit.10968#0151

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INNEN-DEKO RATION

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landhaus in berlin-dahlem »sitzplatz im freien vor dem runden speisezimmer«

seine Wohnlichkeit genommen. Solche Empfindung
hat vielleicht auch dazu beigetragen, daß man viele
Wohnräume des vorigen Jahrhunderts mit allen mög-
lichen Deckchen, Kissen, Teppichen und dicken Stof-
fen angefüllt hat, um so auf eine künstliche Weise
ihre Wohnleere wieder aufzuheben. Aber je weiter
sich ein Raum vor der Natur zurückzieht, desto phan-
tastischer bläht er sich auf und desto verwunderlicher
schwillt er an.

Er ist dann wie der Hypochonder, der ein desto viel-
gestaltigeres Seelenleben, eine desto verwickeitere
Gemütslage bekommt, je weiter sein geistiger Ansatz-
punkt zur Erfassung der Wirklichkeit sich vom Leben
entfernt. Weder eine künstliche Pracht noch eine
sachliche Kälte kann jene Wohnlichkeit erzwingen,
die wir als Ausdruck einer innigen Verwandtschaft
zwischen Raum und Welt erkannten. Nie vermag der
Anblick mancher wie ein Operationssaal wirkender
Innenräume, deren Dasein uns die Existenz der
Wirklichkeit vergessen machen möchte, den Reich-
tum der Natur, des weltweiten Andersartigen, aus der
Gestaltung des Wohnraums zu verdrängen. So wäre

auch der Mensch nur noch ein Schatten seiner selbst,
wenn er keinerlei Empfindungen mehr besäße, die ihn
auf eine mannigfache Weise in größere Zusammen-
hänge stellen. Wird man denn nicht dadurch erst ein
Mensch, daß man mit etwas Außer- oder Übermensch-
lichem zusammenlebt?

Gerade deswegen ist es aber auch kein Zeichen eines
Überdrusses am Wohnen, wenn an einem sonnigen
Nachmittag Tisch und Stühle in den Garten getragen
werden oder wenn etwa für die Dauer der schönen
Jahreszeit der Balkon zum zusätzlichen Wohnzim-
mer erklärt wird. Nur in einem Menschen, der gerne
und mit Lust zu wohnen vermag, entstehen über-
haupt erst solche Gedanken. Denn Wohnen bedeutet
ja nicht: sich in einen vor der Welt geschützten Win-
kel verkriechen; im Gegenteil, Wohnen bedeutet: ein
festes Bündnis mit der Welt schließen. Die Kunst des
Wohnens lernt nur ein innig mit der Welt zusammen-
lebendes Gemüt. Vielleicht besitzen deshalb im beson-
deren die Frauen - wegen ihrer ursprünglichen Ver-
bundenheit mit den Grundkräften dieser Erde - einen
natürlichen Sinn für das Wohnen. - Günther michel
 
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