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Internationale
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Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde.
Herausgeber: Norbert Ehrlich.

5. Jahrgang.

Wien, 1. April 1913.

Nr. 7.

Andre Charles Boulle.
Ein Kapitel aus den Glanzzeiten der Möbelkunst.1
Von Dr. Heinrich Pudor (Leipzig)

Als der bedeutendste Möbelkünstler aller Zeiten darf
der Ebeniste de Louis XIV. Andre Charles Boulle
angesprochen werden, ein Mann von außerordentlich
vornehmem Empfinden und unbeschränkten technischen
Fähigkeiten. Während es sonst fast immer Zeitalter
sind, welche einen Möbelstil schaffen, hat es in diesem
Falle ein einzelner Mann getan; denn wenn auch die
Boulle-Möbel selbst zum Stil Louis Quatorze gehören,
stellen sie in sich eine Individualität, eine Kunst für sich
dar. Leider sind die meisten seiner Arbeiten zugrunde
gegangen, da sie auf Veranlassung des Königs in die
tiefer liegenden Stockwerke geschafft wurden, wo sie
von Feuchtigkeit zu leiden hatten. Aber auch das, was
erhalten ist, gibt uns ein ungefähres Bild von dem be-
wundernswerten Geschmack und den hervorragenden
technischen Qualitäten dieser Möbel. In ihnen feiert das
Zeitalter Louis XIV. und zugleich das französische Volk
als Nation Triumphe, denn einmal sind sie ein außer-
ordentlich charakteristischer Ausdruck des Siede Louis
Quatorze, und zweitens verkünden sie laut die Ge-
schmacksraffinerie desjenigen Volkes, welches das
ästhetische Gewissen der Welt zu haben sicherlich
nicht ganz mit Unrecht sich brüstet.
Andre Charles Boulle wurde am 11. November 1642
zu Paris geboren als Sohn des Jean Boulle,2 vermutlich
in den Pierre Boulle angewiesenen Räumen des Louvre.
Champeaux schreibt, daß man über die ersten
Jahre seines Lebens, und zwar bis zum Jahre 1672 nichts
wisse. O r 1 a n d i erzählt, daß er die Neigung zur hohen
Kunst gehabt habe, aber auf Befehl des Vaters sich

1 Vergl. Archives de l’Art francais A. IV: Charles Asse-
lineau »Andre Boulle, ebeniste de Louis XIV«. Paris 1872;
Scherer, Technik und Geschichte der Intarsia, Leipzig 1891;
Abecedario pittorico von Orlandi, 1719 (Zeitgenosse Boulles);
Les Boulle, Henry Havard, Paris 1893; Andre Boulle pur
Jules Perin, Paris 1867; B. Boucher, Gunst; R. Graul im
Kunstgewerbeblatt III, S. 44; Abb. siehe bei Williamson und
Molinier.
2 Nicht Pierre Boulles, wie die Heiratsurkunde beweist
(vergl. Havard, a. o. W. S. 28). Die Mutter Andres war nicht
Bahuche, sondern Legere Thorin. Die Boulles sollen übrigens
nach Champeaux vlämischer Abkunft gewesen sein (vergl.
hierüber L’Ebeniste Boulle et l’origine de sa famille par M.
Stein). Havard hält den Namen Boulle als wahrscheinlich
identisch mit dem holländischen »Boel«.

dem Tischlerhandwerk habe widmen müssen.3 Zuerst
habe er sich dann auf Anregung Jean Maces in musi-
vischen Arbeiten aus farbigen Hölzern versucht. Jean
Mace, menuisier-ebeniste de Blois war gleichfalls als
Hoftischler angestelit, und zwar seit 1644 »auf Grund
der langen Praxis, welche er sich in den Niederlanden
angeeignet hatte«, sowie der Proben von musivischer
Arbeit mit farbigen Hölzern, die er der Königin vorge-
legt hat. Man sieht hier also wieder, wie eng das fran-
zösische Kunsthandwerk jener Zeit mit Holland und Bel-
gien verknüpft war: der Vater Boulles soll vlämischer
Abkunft gewesen sein und er selbst hat seine Kunst von
Mace gelernt, der sie sich in den Niederlanden ange-
eignet hatte. Aber das Verdienst Boulles und der Ruhm
der Franzosen wird hiedurch nur um ein sehr Geringes
geschmälert. Scherer (a. o. W. S. 138) führt an, daß
Mace ein Verfahren erfunden haben soll, Holz schwarz
zu färben, indem er es in heißen Sand oder Kalkwasser
legte und Sublimat oder Schwefelöl zugoß, wodurch
er zugleich eine größere Dauerhaftigkeit des Materials
erzielte.
Dazu kommt, daß, als Mace im Jahre 1672 starb, eben
Andre Boulle die Räume desselben im Louvre ange-
wiesen bekam auf Grund seiner Arbeiten als »Ebeniste,
Faiseur de Marqueterie, doreur et ciseleur«. Weiter er-
hielt Boulle den Titel als »Erster Ebenholzschnitzer des
königlichen Hauses« (Premier ebeniste de la Maison
royale).
Havard (a. o. W.), der am umfangreichsten über
Boulle geschrieben hat, will ausdrücklich dagegen
stehen, daß Andre Boulle als Begründer der Boulle-
technik angesehen werde, da schon Boulles Vater, Mace
und die Holländer die Marketeriearbeit ausgeführt
hatten. Und auch die eigentliche charakteristische Boulle-
technik, das heißt, die Verwendung von Metall, beson-
ders Kupfer und Bronze4 zur Intarsia, habe nicht Boulle
zuerst ausgeübt.
Orlandi (a. o. W.) nennt Boulle in einem Atem
Architekt, Maler, Bildhauer, Ebeniste, Firmenzeichner
3 Hieraus resultierte, wie Asselineau treffend hinzusetzt,
die künstlerisch handwerkliche Doppelnatur Boulles.
4 Auch Perlmutter war schon vor ihm, namentlich in
Italien verwendet worden.
 
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