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Seite 330

Internationale Sammler-Zeitung.

Nr. 22

Beireis’ wurden aber, und zwar mit den zunehmenden
Jahren in immer höherem Maße, durch eine Eigentümlich-
keit seines Wesens verdunkelt, die man wohl nicht anders
als pathologisch bezeichnen kann. Er ließ sich in seinen
öffentlichen Vorträgen, wie in seinen Gesprächen oft zu
den phantastischesten Uebertreibungen und Aus-
schmückungen hinreißen, die von der Rücksicht auf die
Wahrheit gleich entfernt blieben, wie von den Forde-
rungen der Vernunft und des guten Geschmackes. Aber
alle, die den Mann näher kannten und seinen vornehmen
edlen Charakter rühmten, versicherten, daß man keinen
Moment an eine niedrige Lügenhaftigkeit als die Quelle
dieser Expektorationen glauben dürfe. Sie standen viel-
mehr unter dem Eindrücke, daß der merkwürdige Pro-
fessor oft wie unter dem Einflüsse eines dämonischen
Reizes stehe, im Flusse der Rede sich einem Spiele der
Phantasie hingebe, die er nicht beherrschen könne. Sie
meinten, er behauptete Unglaubliches, aber in dem
Momente glaubte er selbst daran; er wiederholte manches
davon dann so oft, daß er zuletzt selbst nicht mehr unter-
scheiden konnte, ob er Wahres oder Unwahres sage. Aber
Beireis stand nicht immer unter der Herrschaft seines
Dämons. Er konnte in einer Gesellschaft, deren Mittel-
punkt er war, die Anwesenden oft sechs bis sieben
Stunden ununterbrochen mit seiner glänzenden Unter-
haltungsgabe fesseln, und die Schätze seines Wissens vor
ihnen ausbreiten, ohne sich auf Abwege zu verirren. Er
hatte bei seinem phänomenalen Gedächtnis so viel Ge-
lehrsamkeit sich angeeignet, daß er es eigentlich nie nötig
gehabt hätte, mit Kenntnissen zu prunken, die er nicht
oder nur sehr oberflächlich besaß.
Und nun wollen wir zu der Sammlertätigkeit Beireis’
übergehen, die zum Teile allerdings dahin zielte, die Ar-
beiten des Forschers und Gelehrten zu fördern. Hofrat
Beireis zählte selbst siebzehn Sammlungen auf,
die in seinem Besitze sich befanden, jede so reichhaltig,
daß sie kaum einer Ergänzung bedürftig sei.
Von jedem der hervorragenden Maler, erklärte er, l
besitze er ein Bild; von den größten Meistern jedoch |
zwei, eines aus der Jugendzeit des Malers und eines aus
der Zeit seiner höchsten Blüte. Seine Bibliothek, die in
der Tat viele Säle füllte, enthalte die wichtigsten Werke
aus allen Gebieten der Wissenschaft. Die physikalischen
Instrumente seien in solcher Vollständigkeit vertreten, daß
man an ihnen zugleich eine Geschichte der Physik de-
monstrieren könne. Und auch was die Mechanik betrifft,
so seien die bedeutendsten Erzeugnisse derselben in treff-
lichen Nachbildungen, teils sogar in den, einen immensen
Wert repräsentierenden Originalen vorhanden.
Goethe, der, wie wir schon erwähnten, sich für
ihn sehr interessierte und, um die persönliche Bekannt-
schaft des »problematischen« Mannes zu machen, eigens
eine Reise nach Helmstädt machte, weiß nicht genug die
Münzsammlungen des Professors Beireis zu rühmen.
»Die goldenen Münzen römischer Kaiser und ihrer Fa-
milien,« berichtet Goethe, »hatte er aufs vollständigste
zusammengebracht, welche er durch die Katalogen des
Pariser und Gothaischen Kabinetts eifrig zu belegen und
dabei zugleich sein Uebergewicht durch mehrere dort
fehlende Exemplare zu bezeugen wußte. Was jedoch an
dieser Sammlung am höchsten zu bewundern, war die
Vollkommenheit der Abdrücke, welche sämtlich, als
kämen sie aus der Münze, vorlagen. Diese Bemerkung
nahm er wohl auf und versicherte, daß er die einzelnen
erst nach und nach eingetauscht und mit schwerer Zu-
buße zuletzt erhalten und doch noch immer von Glück
zu sagen habe.« Man merkt, daß aus diesen Zeilen nicht
nur das Verständnis, sondern auch ein wenig der Neid des
— Sammlers Goethe spricht, der bekanntlich auch eine

schöne Münzsammlung sein Eigen nannte und den seine
Freunde nicht mehr beglücken konnten, als wenn sie ihm
zu einem fehlenden, seltenen Stücke verhalfen. Ebenso
rühmt Goethe die in Beireis Besitz befindliche Samm-
lung von Silbermünzen griechischer Städte, »ebensowenig
fehlte es sodann an goldenen Rosenobeln, päpstlichen
älteren Münzen, an Bracteaten, verfänglichen satirischen
Geprägen und was man nur merkwürdig Seltsames bei
einer so zahlreichen, altherkömmlichen Sammlung er-
warten konnte.«
Sehr interessant war die Sammlung, die Beireis von
historisch merkwürdigen Instrumenten und Apparaten be-
saß, wie zum Beispiel von Rechenmaschinen, Uhrwerken
u. s. w. Die Vaucansonschen Automaten, deren wir schon
Erwähnung getan, hatte Beireis, nachdem sie dreißig
Jahre lang in der ganzen Welt angestaunt worden waren,
im Jahre 1766 erworben und sie wurden von den Be-
suchern mit großem Respekt angesehen, obgleich deren
Mechanismus im Laufe der Zeit, wohl wegen des ungün-
stigen feuchten Gartenlokals, in dem sie untergebracht
wurden, viel gelitten hatte. Auch an anderen Samm-
lungen, wie zum Beispiel an den anatomischen Prä-
paraten, war der Zahn der Zeit, zumal die Sorgfalt bei
ihrer Aufbewahrung keine genügende war, nicht spurlos
vorübergegangen. Den größten Wert repräsentierte in den
Beireisschen Sammlungen die Bibliothek, die Münzen-
sammlung, über die wir Goethe schon vernahmen, und
die Gemälde, deren Vorführung jedoch dem Gaste aus
Weimar nur ein aus Vergnügen und Aerger gemischtes
Gefühl bereitete. Da kam nämlich die Eigenheit des selt-
samen Mannes, seine Lust am Fabulieren und Ueber-
treiben, plötzlich ganz schrankenlos zum Vorschein.
Goethe erzählt, daß sich Beireis bei »Vorzeigen seiner
Gemälde, seiner neuesten Liebhaberei, in die er sich ohne
die mindeste Kenntnis eingelassen hatte, lebhaft, leiden-
schaftlich überredend und zudringlich bewies. Bis ins Un-
begreifliche ging der Grad, womit er sich hierüber ge-
täuscht hatte, oder uns zu täuschen suchte.« Es ist aber
auch wirklich kein Wunder, daß ein Mann wie Goethe
nur mit größter Anstrengung die höfliche Ruhe ange-
sichts der merkwürdigen Art bewahrte, in der Beireis
ihm seine Bilder zeigte. Die Bilder hingen nicht an den
Wänden nebeneinander, »sie standen vielmehr in seinem
Schlafzimmer um das große Thronhimmelbett an den
Wänden geschichtet übereinander, von wo er, alle
Hilfeleistung ablehnend, sie selbst herholte und dahin
wieder zurückbrachte«. Goethe schildert nun, wie ihm
Beireis geradezu gewalttätig aufzudisputieren sucht, daß
eine Reihe von Bildern, die nichts als ganz unbedeutende
Proben mäßiger Künstler, wohl auch nur kopierte Bilder
waren, Jugendarbeiten von Raphael, Tizian, Correggio,
Domenichino, Guido und ähnlichen Meistern seien!
Goethe gab bald jeden Widerspruch auf, denn »an irgend
eine Art von Kritik war bei diesem sonst werten und
würdigen Mann gar nicht zu denken«. Zu der Uebcr-
schätzung der einen Kollektion gesellt sich jedoch, wie
Goethe mit nicht geringerer Entrüstung konstatiert, die
grenzenlose Unterschätzung anderer Bilder, die wieder
von dem Besucher ungemein hoch gewertet wurden. Ein
Porträt Albrecht Dürers, von ihm selbst gemalt, mit
der Jahreszahl 1493, also in seinem zweiundzwanzigsten
Lebensjahre, welches Goethe, »ganz herrlich gezeichnet,
reich und unschuldig, harmonisch in seinen Teilen, von
der höchsten Ausführung, vollkommen Dürers würdig
fand«, wurde von Beireis mit geradezu verächtlicher
Gleichgiltigkeit behandelt. Goethe, der wohl mit Recht
meinte, daß jeder Kunstfreund dieses »durchaus unschätz-
bare Bild« sorgfältigst aufbewahrt hätte, sieht entsetzt,
wie es Beireis »ohne irgend einen Rahmen und Ver-
 
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