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Abhandlungen.
I.
Ungarn und die südöstlichen Donauländer gehören zu jenen Gebieten, deren mittelalterliche
Denkmale fast ganz unbekannt sind. Wenige von ihnen sind beschrieben, die meisten Beschrei-
bungen sind an und für sich ungenau, oder von einem Standpunkte aus, der weit entfernt ist,
auch nur den ersten Anforderungen der Alterthumskunde nach ihrem jetzigen Stande zu genü-
gen. Werke, wie das von Dr.Em. Henszelmann in magyarischer Sprache herausgegebene Werk
über den Raschauer Dom sind einzeln stehende Erscheinungen auf dem Gebiete der ungri-
schen und siebenbürgischen Denkmalskunde. Man braucht nur einen Blick zu thun in Werke,
wie Rugiers Runstgeschichte, Bosenthal’s Geschichte der Baukunst, oder in Sammelwerke, wie
die Agincourt’s, Gailhabaud’s u. a. m., so wird man sich überzeugen, dass wie alle Länder an
der mittleren und unteren Donau, so auch Ungarn in dieser Beziehung fast eine terra incognita
ist, und dass das gebildete Europa von manchen Ländern ferner Weltthcile besser unterrichtet
ist als von den Ländern, die fast im Mittelpunkte Europa’s, an einer der ersten Wasserstrassen
und in der Nähe jener Länder liegen, an welche sich die Geschichte der christlichen Civilisation
durch Jahrhunderte fast ausschliesslich geknüpft hat.
Es kommen freilich mancherlei Umstände zusammen, welche diese Unbekanntschaft hin-
länglich erklären. Die isolirte Stellung, welche Ungarn seit mehreren Jahrhunderten einge-
nommen hat, die eigenthümlichen Bevölkerungs- und Verfassungszustände, welche diese Iso-
lirung der Selbsterhaltung wegen zu einer Art von Staatsmaxime erhoben haben, die grossen
Rriege, die Ungarn im 16. und 17. Jahrhunderte theilweise verheert, theihveise unter Botmäs-
sigkeit barbarischer Völker gebracht haben, alle diese Umstände haben dazu beigetragen,
Ungarn’s Verbindung mit den Culturbestrebungen des westlichen Europa zu erschweren und
den Gebildeten des Landes die Mittel zur Renntniss des eigenen Vaterlandes nach allen Bich-
tungen hin und zur Einsicht in den jeweiligen Stand der Wissenschaft zu entziehen.
Dabei darf man nicht vergessen, dass im übrigen Europa und insbesondere im österrei-
chischen Raiserstaate ein lebhafteres Interesse, ein Bestreben nach tieferem und wissenschaft-
lichem Verständnisse für die Baudenkmale und Runstformen des Mittelalters erst in den letzten
Jahrzehenden an den Tag trat, und erst in der jüngsten Zeit Anstalten in das Leben gerufen
wurden, die für Verbreitung von archäologischen Renntnissen und Bekanntschaft mit den
vaterländischen Denkmalen eine Zukunft in Aussicht stellen. Soviel aber in dieser Beziehung
auch in einzelnen Rronländern des österreichischen Raiserstaates zu wünschen sein mag, so
viel Denkmale noch unbeachtet liegen und in das Bereich der Runstgeschichte erst herein-
gezogen werden müssen, so dürfte es doch wenige Länder geben, deren Denkmale entweder
so ganz und gar unbekannt sind, wie die Ungarn’s, oder woran sich im eigenen Lande so viele
Abhandlungen.
I.
Ungarn und die südöstlichen Donauländer gehören zu jenen Gebieten, deren mittelalterliche
Denkmale fast ganz unbekannt sind. Wenige von ihnen sind beschrieben, die meisten Beschrei-
bungen sind an und für sich ungenau, oder von einem Standpunkte aus, der weit entfernt ist,
auch nur den ersten Anforderungen der Alterthumskunde nach ihrem jetzigen Stande zu genü-
gen. Werke, wie das von Dr.Em. Henszelmann in magyarischer Sprache herausgegebene Werk
über den Raschauer Dom sind einzeln stehende Erscheinungen auf dem Gebiete der ungri-
schen und siebenbürgischen Denkmalskunde. Man braucht nur einen Blick zu thun in Werke,
wie Rugiers Runstgeschichte, Bosenthal’s Geschichte der Baukunst, oder in Sammelwerke, wie
die Agincourt’s, Gailhabaud’s u. a. m., so wird man sich überzeugen, dass wie alle Länder an
der mittleren und unteren Donau, so auch Ungarn in dieser Beziehung fast eine terra incognita
ist, und dass das gebildete Europa von manchen Ländern ferner Weltthcile besser unterrichtet
ist als von den Ländern, die fast im Mittelpunkte Europa’s, an einer der ersten Wasserstrassen
und in der Nähe jener Länder liegen, an welche sich die Geschichte der christlichen Civilisation
durch Jahrhunderte fast ausschliesslich geknüpft hat.
Es kommen freilich mancherlei Umstände zusammen, welche diese Unbekanntschaft hin-
länglich erklären. Die isolirte Stellung, welche Ungarn seit mehreren Jahrhunderten einge-
nommen hat, die eigenthümlichen Bevölkerungs- und Verfassungszustände, welche diese Iso-
lirung der Selbsterhaltung wegen zu einer Art von Staatsmaxime erhoben haben, die grossen
Rriege, die Ungarn im 16. und 17. Jahrhunderte theilweise verheert, theihveise unter Botmäs-
sigkeit barbarischer Völker gebracht haben, alle diese Umstände haben dazu beigetragen,
Ungarn’s Verbindung mit den Culturbestrebungen des westlichen Europa zu erschweren und
den Gebildeten des Landes die Mittel zur Renntniss des eigenen Vaterlandes nach allen Bich-
tungen hin und zur Einsicht in den jeweiligen Stand der Wissenschaft zu entziehen.
Dabei darf man nicht vergessen, dass im übrigen Europa und insbesondere im österrei-
chischen Raiserstaate ein lebhafteres Interesse, ein Bestreben nach tieferem und wissenschaft-
lichem Verständnisse für die Baudenkmale und Runstformen des Mittelalters erst in den letzten
Jahrzehenden an den Tag trat, und erst in der jüngsten Zeit Anstalten in das Leben gerufen
wurden, die für Verbreitung von archäologischen Renntnissen und Bekanntschaft mit den
vaterländischen Denkmalen eine Zukunft in Aussicht stellen. Soviel aber in dieser Beziehung
auch in einzelnen Rronländern des österreichischen Raiserstaates zu wünschen sein mag, so
viel Denkmale noch unbeachtet liegen und in das Bereich der Runstgeschichte erst herein-
gezogen werden müssen, so dürfte es doch wenige Länder geben, deren Denkmale entweder
so ganz und gar unbekannt sind, wie die Ungarn’s, oder woran sich im eigenen Lande so viele