104. R.ICHARD K.URT DoNiN Romanische Portale in Niederösterreich
u. dgl. erblickt, braucht nicht näher eingegangen zu werdenS^). Ottman erklärt, „zur Deu-
tung des Frieses nichts beizubringen zu vermögen."
Wenn ich es trotzdem unternehme, zu den Bilderrätseln des Tores einige Bemerkungen
zu machen, so veranlassen mich dazu die bereits erwähnten auffallenden ikonographischen
Beziehungen zu Schöngrabern, auf welche bisher noch niemand aufmerksam gemacht hat.
Hatte der Meister von Schöngrabern noch zu einer Zeit geschaffen, wo diese symboiischen
Darstellungen „im Verständnis der gläubigen Zeitgenossen" (Endres) wurzelten, so steht
der eine Generation jüngere Meister unseres Biiderfrieses dieser Symbolik schon mit viel
weniger Verständnis gegenüber. In der Übergangszeit weichen ja diese Vorstellungen dem
neuen Stoffgebiet der eindringenden Gotik. Dazu kommt, daß auf den schmalen Bändern
des Architravs der Bildhauer sich oft nur mit kurzen Andeutungen begnügen muß.
So steht der kleine Teufel mit der Frucht als erste Figur links am Anfang* der Reihe
wie in Schöngrabern der Sündenfail (Fig. 82). Am Riesentor begnügt sich der Meister mit
dem verführenden Teufel und der Frucht vom Erkenntnisbaume allein (Fig. 78). Auch die
nächste Szene rührt von Schöngrabern her. Der Teufel, der dem Mönch die Schlinge um
den Hals legt, die dieser wegzuziehen versucht (Fig. 78 und 18, Mitte oben). Mönch und
Nonne in der Gewait des Teufels haben in Schöngrabern ihr Gegenstück an einer zweiten
ganz ähnlich gebildeten Fensterdarstellung, wo Mann und Weib in weltlicher Tracht dem
„guten Prinzip" (Heider) anhangen. Damit wird der Gedanke ausgedrückt, daß der geist-
liche Stand viel mehr Versuchungen ausgesetzt erscheint als der weltliche. Am Riesentor,
wo das weltliche Gegenstück fehlt (vieileicht befand es sich auf einem der zerstörten Fries-
stücke), wird die Bedeutung des gefesselten Mönches natürlich viel unklarer.
Auch der Mensch in der Gewalt des Bären, also der Sünde (Darstellung über der
zweiten Säule rechts, Fig. 79), kommt in Schöngrabern vor. Dort aber kommt dem Men-
schen ein rettender Jäger zu Hilfe. Die Darstellung des auf seinen Vordermann mit der
Hacke losschlagenden Menschen (über dem dritten Pfosten rechts, Fig. 79) gemahnt an
Kain und Abel in Schöngrabern (Fig. 18 unten). Wie Kain seinen Bruder schlägt, so
schlägt hier der Mönch auf seinen Klosterbruder. Der Teufel, der sich auf den Kain im
Mönchsgewande stürzt, ist fast derselbe, der in Schöngrabern den Adam festnimmt (Fig. 82).
Daß sich dabei Geistliche gewissermaßen selbst anklagen, hat Ottmann (S. 26) schon richtig
mit den „SündenklagBn" in Zusammenhang gebracht.
In der romanisc-hen Spätzeit, in welcher das Riesentor entstand, war es dem Künstler
schon viel weniger um die Symbolik zu tun. Er verwendet auch oft Figuren, die ihm aus
der Schul- und Werkstatttradition her geläuhg* waren, ohne tiefere Bedeutung, nur um den
Platz zu füllen. Adler und Taube (über der zweiten Säule links, Fig. 78) werden in Schön-
grabern schon als Konsolenzier (Fig. 82), also rein dekorativ verwendet. Daß man am
Riesentor dreißig Jahre später „weibliche Unschuld und männliche Stärke" (Müiler S. 265)
damit symbolisieren wollte, ist kaum anzunehmen.
Noch deutlicher wird dies bei dem daranschließenden Löwen, der rechts noch einmal
etwas kleiner abgebildet wird'^"). Auch in Schöngrabern trifft man an der Apsis den Löwen
376) Die symbolischen Bildwerke am Riesentor der
Stephanskirche inWien in „AllgemeineRunstchronik" XIII
(1899) 250, 283, 307.
37") Müller schloß daraus, daß der Löwe rechts eine
spätere Nachbildung des linken sei, was aus stilistischen
Gründen (die Übereinstimmung der beiden geht bis ins
kleinste Detaii) abgelehnt werden muß. Auch beiindet sich
der rechte auf einem urspriinglichen Block mit unzweiielhaft
echten Figuren.
u. dgl. erblickt, braucht nicht näher eingegangen zu werdenS^). Ottman erklärt, „zur Deu-
tung des Frieses nichts beizubringen zu vermögen."
Wenn ich es trotzdem unternehme, zu den Bilderrätseln des Tores einige Bemerkungen
zu machen, so veranlassen mich dazu die bereits erwähnten auffallenden ikonographischen
Beziehungen zu Schöngrabern, auf welche bisher noch niemand aufmerksam gemacht hat.
Hatte der Meister von Schöngrabern noch zu einer Zeit geschaffen, wo diese symboiischen
Darstellungen „im Verständnis der gläubigen Zeitgenossen" (Endres) wurzelten, so steht
der eine Generation jüngere Meister unseres Biiderfrieses dieser Symbolik schon mit viel
weniger Verständnis gegenüber. In der Übergangszeit weichen ja diese Vorstellungen dem
neuen Stoffgebiet der eindringenden Gotik. Dazu kommt, daß auf den schmalen Bändern
des Architravs der Bildhauer sich oft nur mit kurzen Andeutungen begnügen muß.
So steht der kleine Teufel mit der Frucht als erste Figur links am Anfang* der Reihe
wie in Schöngrabern der Sündenfail (Fig. 82). Am Riesentor begnügt sich der Meister mit
dem verführenden Teufel und der Frucht vom Erkenntnisbaume allein (Fig. 78). Auch die
nächste Szene rührt von Schöngrabern her. Der Teufel, der dem Mönch die Schlinge um
den Hals legt, die dieser wegzuziehen versucht (Fig. 78 und 18, Mitte oben). Mönch und
Nonne in der Gewait des Teufels haben in Schöngrabern ihr Gegenstück an einer zweiten
ganz ähnlich gebildeten Fensterdarstellung, wo Mann und Weib in weltlicher Tracht dem
„guten Prinzip" (Heider) anhangen. Damit wird der Gedanke ausgedrückt, daß der geist-
liche Stand viel mehr Versuchungen ausgesetzt erscheint als der weltliche. Am Riesentor,
wo das weltliche Gegenstück fehlt (vieileicht befand es sich auf einem der zerstörten Fries-
stücke), wird die Bedeutung des gefesselten Mönches natürlich viel unklarer.
Auch der Mensch in der Gewalt des Bären, also der Sünde (Darstellung über der
zweiten Säule rechts, Fig. 79), kommt in Schöngrabern vor. Dort aber kommt dem Men-
schen ein rettender Jäger zu Hilfe. Die Darstellung des auf seinen Vordermann mit der
Hacke losschlagenden Menschen (über dem dritten Pfosten rechts, Fig. 79) gemahnt an
Kain und Abel in Schöngrabern (Fig. 18 unten). Wie Kain seinen Bruder schlägt, so
schlägt hier der Mönch auf seinen Klosterbruder. Der Teufel, der sich auf den Kain im
Mönchsgewande stürzt, ist fast derselbe, der in Schöngrabern den Adam festnimmt (Fig. 82).
Daß sich dabei Geistliche gewissermaßen selbst anklagen, hat Ottmann (S. 26) schon richtig
mit den „SündenklagBn" in Zusammenhang gebracht.
In der romanisc-hen Spätzeit, in welcher das Riesentor entstand, war es dem Künstler
schon viel weniger um die Symbolik zu tun. Er verwendet auch oft Figuren, die ihm aus
der Schul- und Werkstatttradition her geläuhg* waren, ohne tiefere Bedeutung, nur um den
Platz zu füllen. Adler und Taube (über der zweiten Säule links, Fig. 78) werden in Schön-
grabern schon als Konsolenzier (Fig. 82), also rein dekorativ verwendet. Daß man am
Riesentor dreißig Jahre später „weibliche Unschuld und männliche Stärke" (Müiler S. 265)
damit symbolisieren wollte, ist kaum anzunehmen.
Noch deutlicher wird dies bei dem daranschließenden Löwen, der rechts noch einmal
etwas kleiner abgebildet wird'^"). Auch in Schöngrabern trifft man an der Apsis den Löwen
376) Die symbolischen Bildwerke am Riesentor der
Stephanskirche inWien in „AllgemeineRunstchronik" XIII
(1899) 250, 283, 307.
37") Müller schloß daraus, daß der Löwe rechts eine
spätere Nachbildung des linken sei, was aus stilistischen
Gründen (die Übereinstimmung der beiden geht bis ins
kleinste Detaii) abgelehnt werden muß. Auch beiindet sich
der rechte auf einem urspriinglichen Block mit unzweiielhaft
echten Figuren.