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Fragmente aus einem gotischen Schriftmusterbuch
in der Universitätsbibliothek zu Würzburg

Von BETTY KURTH

Julius von Schlosser hat in seiner wertvollen Arbeit über die künstlerische Über-
iieferung im späten Mittelalter eine Reihe von verschiedenartigen mittelalterlichen Model-
büchern zusammengestellt, deren Funktion, den Künstlern für Kompositionen größerer
Werke oder für Zwecke der Handschriftenillustration Detailvorbilder zu liefern, klar zu-
tage tritt. In Frankreich wie in den Niederlanden, in Italien wie in Deutschland scheinen
derartige Vorlagenbücher ein unentbehrliches Requisit umherziehender Maler, ein notwen-
diges Handwerkzeug der Schreiber und Miniatoren gewesen zu sein. Durch die Mannig-
faltigkeit und Verschiedenartigkeit der gesammelten Anregungen, die zwecks späterer
künstlerischer Verwertung mit dem Stift festgehalten wurden, bieten uns die erhaltenen
Specimina einen interessanten Einblick in die Produktionsgewohnheiten der Künstler und
liefern uns insbesondere manchen wertvollen Fingerzeig für die Klarlegung der Stilfiliationen
am Ausgange des Mittelalters. Denn neben Werken, die als homogenes Ganzes erscheinen
und deutlich den Stilcharakter einer und der nämlichen Zeit und Schule tragen — wie das
Skizzenbuch des Villard de Honnecourt^) oder das Modelbüchlein aus Kloster Rein^), —
gibt es andere, die eine Kompilation von Kopien aus den verschiedensten Schulen, Zeiten
und Stilrichtungen darstellen, wie das Musterbuch des Stephan von Urach in München^).
Als Beispiel der letzteren Art erwies sich auch das oberitalienische Skizzenbuch in der
Biblioteca civica zu Bergamo, das neben Kopien italienischer Vorbilder solche nach deut-
schen und französischen Werken des XIV. und XV. Jhs. enthält^). In dem letzterwähnten
Modelbuch ünden sich auch die Zeichnungen eines gotischen Figurenalphabets, dessen Ur-
bild ich der deutschen Kunst des XIV. Jhs. zuzuweisen versuchte^), eine Hypothese, für
deren Richtigkeit ich im folgenden einen neuen Beweis zu erbringen hoffe.

Die Aufnahme von Figurenalphabeten, Zierbuchstaben und Schriftproben in die mittel-
alterlichen Modelbücher scheint nichts Ungewöhniiches gewesen zu sein. Zeigen doch sowohl
das frühgotische Büchlein aus Kloster Rein als auch das spätere Musterbuch des Stepnan

*) JahrbuchderSammlungen des AHerhöchsten Kaiser-
hauses, Bd. 23, pag. 279.

J. B. A. Lassus et Alfred Dareei, Aibum de Villard
de Honnecourt, Paris [858, und die Neuausgabe von
H. Omont.

3) Juiius v. Schlosser, op. cit. Taf. XXVII, XXVIII.

4) Vgl. Wattenbach, Das Schriftwesen im Mitteiaiter,
Bd. r, pag. 368. Jui. v. Schlosser, op. cit., pag. 323.

5) Pietro Toesca, Michelino da Besozzo e Giovannino

dei Grassi. L'Arte VIII, 1903, pag. 321 ff. und La pittura
e la miniatura nella Lombardia, Miiano 1912, Pag. 298 if. —
Betty Kurth, Ein Freskenzyklus im Adlerturm zu Trient,
Jahrbuch des kunsthist. Instituts der Z.-K. 19H, pag. 96 ff.
und Kunstgeschichtiiche Anzeigen 19:1, pag. 78.

6) Betty Kurth, Ein gotisches Figurenalphabet aus
dem Ende des XIV. Jhs. und der Meister E. S. Mitteiiungen
der Ges. f. vervieifäitigende Kunst. Beiiage d. Graphischen
Künste 1912, Nr. 3.
 
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