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174 BETTV KuRTH Fragmente aus einem gotisclien Schriftmusterbucii in der Universitätsbibl. zu Würzburg

von Urach und das italienische Skizzenbuch der Galieria Corsini zu Rom^) derartige Zier-
aiphabete. Ja, es gab ohne Zweifel zahlreiche Modelbücher, die einzig der kalligraphischen
Buchausschmückung zu dienen bestimmt waren.

Zwei Fragmente aus einem solchen gotischen Schriftmusterbuch, die sich deutlich als
Schablonen einer Schreiberwerkstatt erweisen, beünden sich in der Universitätsbibliothek
zu Würzburg. Die beiden an allen vier Seiten fragmentierten Pergamentblätter, von denen
das eine (Fig. 136) 30 6 rw breit, 21'8 hoch, das andere (Fig. ^37) 30*3 c/n breit, 22*1 c/M
hoch ist, zeigen in Federzeichnung mit Aquarellfarben leicht koloriert, jedes eine Minuskel-
Figureninitiale, an die sich der Anfang eines Gebetes schiießt, aus Bändern geschlungene
Zierbuchstaben, verschiedene andere Schriftproben und ornamentale Schmuckieisten aus
reich verschiungenem Rankenwerk, das von grotesken Figuren belebt wird. Zur Grundierung
und Modellierung, insbesondere der Figureninitialen, sind matte rote, grüne und gelbe
Farbtöne verwendet. Das Rot ist stark ins Braune nachgedunkelt, die Ornamentlinien sind
vielfach verwischt. Der Gesamteindruck ist nicht mehr farbenfrisch^).

Wenn uns Zweck und Bestimmung der Blätter auch unmittelbar klar ist, so stellt uns
dagegen die Frage nach ihrer Provenienz und Entstehungszeit vor ein schwerer zu lösendes
Problem. Hier kann uns einzig die Betrachtung der ornamentalen Details einer Fixierung
näherbringen. Initialen wie Zierleisten heben sich von einem tapetenähnlichen mit der
Feder zart ornamentierten Grund ab, der aus Kreisen, Voluten, Spiralen, Ringelchen und
Ranken gebildet wird. Als immer wiederkehrendes charakteristisches Motiv erscheinen
Kreise oder Ovale, die von Stengeln und Ringelchen rosettenartig ausgefüllt werden. Die
Ränder der Zierleisten begleiten zarte vielverschnörkelte Haarlinien, während schwere, viel-
fach gewundene stark gelappte akanthusähnliche Ranken das Innere erfüllen.

Die geschilderte Art der Buchausschmückung, die unter dem Namen der Fleuronee-
ornamentik allgemein geläuhg ist, läßt sich nun zwar im XIV. Jh., in ganz Westeuropa fast
in allen wichtigen Zentren der Handschriftenillustration nachweisen. Dvoräk hat jedoch
überzeugend dargetan, daß sie ihre reichste Blüte und ihre künstlerischeste Form in böh-
mischen Skriptorien entfaltet hat^). Während in den meisten anderen Schulen die kalli-
graphische Ausschmückung in ihren Anfängen stecken blieb und sich auf eine flüchtige
Ornamentierung der Initialen in der beschriebenen Art beschränkte, gewinnt in Böhmen
der Handschriftenschmuck durch den wachsenden Reichtum ornamentaler Motive, durch
das Heranziehen von stilisierten Püanzenranken, durch die VerwendungvonMenschen- und
Tierfiguren zur Initialbildung und nicht zuletzt durch eine hohe technische Vollendung
dominierende Bedeutung. Von der wichtigsten der frühen Handschriften dieses Stils, den
Schriften des Bernhard von Clairvaux im Böhmischen Landesmuseum, die 1296 von Sampson
geschrieben wurde^"), bis zu seiner glänzendsten Ausbildung, die uns in vollendeter Form
in dem wunderbaren Evangeliar des Johann von Troppau von 1368 in der Wiener Hof-
bibliothek (Cod. 1182)^^) entgegentritt, läuft eine einzige gerade emporstrebende Linie der
Entwicklung. In der letzteren Handschrift tritt neben die zu größter kalligraphischer Fein-

h Giutio Bariola, Quaderno di disegui dei principio
del secolo XV. di un maestro dell' Itaiia settentrionale.
Gallerie nazionali Italiane. Vol. V. — Pietro Toesca, La pittura
e la miniatura nella Lombardia. — Betty Kurth, op. cit.
Jahrbuch des kunsthist. Instituts der Z.-K. 1911, pag. 56 h.

^) Für eine ausführliche Farbenbeschreibung der Blätter
bin ich Herrn Dr. Fritz Bauer von der Universitätsbibliothek

in Wiirzburg zu besonderem Danke verpdichtet.

Max Dvoräk, Die Illuminatoren des Johann von
Neumarkt, Jahrbuch des Allerhöchsten Kaiserhauses Bd. 22,
1901, pag. 48.

*0) Abbildungen bei Dvoräk, op. cit., Fig. 3 und 4.
**) Abbildungen bei Dvofäk, op. cit., Fig. 22,
Taf. XIV, XV, XVI.
 
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