Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
E. Tietze-Conrat Beiträge zur Geschichte der italienischen Spätrenaissance- und Barockskulptur


das Tintenfaß hält, der rechte Unterarm liegt über den Büchern, in ihn läuft nicht die
Schwere, seine Hand kann frei die Feder führen. Die Frau ist ganz in ihre Arbeit vertieft;
sie trägt den großzügigen Kopf mit dem reichfrisierten Haar, den ein Diadem schmückt,
über die Schriftrolle gesenkt. Zu ihren Füßen liegt eine Maske — oder ist es ein Kopf? —
und eine Schlange schiebt ihren runden Leib durch die Augenhöhlen. Was dieses Attribut
wohl besagen mag? Vielleicht ist es ein Medusenhaupt und wie es an dem Panzer der
Athene sitzt, so findet es sich auch bei
dieser personifizierten Wissenschaft. Die
Erklärung überzeugt nur wenig, doch weiß
ich keine bessere.
Zu dieser Bronze gehört20) eine andere
bei G. Salting in London, die als Archi-
tektur charakterisiert ist. Kleinere ähnliche
Bronzen dienen als Deckel von Tinten-
zeugen; bei ihnen stützen die Frauen
den Oberkörper über aufgehäufte Bücher,
nähere Attribute fehlen; eine solche Sta-
tuette aus der Sammlung Oppenheimer
(London) bildet Bode im III. Band (S. 19,
Fig\ 24) seiner Bronzestatuetten ab, eine
andere ist im Besitz des Kaiser-Friedrich-
Museums (Fritz Goldschmidt, a. a. O. 157,
H. 8’8, Br. i4'3). Bode sieht in diesen Sta-
tuetten die Art Giovanni Bolognas. Die
Zuschreibung paßt besonders gut auf das
bedeutende Stück bei Pierpont Morgan.
Giovanni Bologna war kein genialer Er-
finder, er hat nicht wie Michelangelo neue
künstlerische Lösungen, neu in der Bewe-
gung, neu im psychologischen Ausdruck,
der sie bewirkt und aus ihr folgert, in die
Kunst eingeführt. Doch war er im rich-
tigen Augenblick nach Florenz gekommen.
Auch ihm saß der Drang zur Rundplastik
im Blut, wie Michelangelo will er nicht mehr die flächige eine Front, die Figuren werden in
die Tiefe gedreht und in den Seitenansichten gearbeitet. Doch war es ihm nicht um den Block
zu tun, aus dem Michelangelo seine Skulpturen herausholte; er kam vom Pfeiler, vom goti-
schen Übereckpfeiler her, aus diesem schlug er seine Figuren heraus, der Raub der Sabinerin
in der Loggia dei Lanzi zeigt die Hauptansicht gegenüber der Eckkante des Sockels. Der
Pfeiler ist ihm das Gegebene, ihn zu überwinden war sein Streben. Michelangelo kam vom
Relief und bohrte sich den Weg in den Block. Für Bologna lagen die Lösungen Michel-
angelos bereit; er spannte sie nicht in die Fläche, wie andere Zeitgenossen es taten; er
lockerte ihren engen Zusammenhang, befreite sie vom Material, in dem sie lebten, und zu
Vorstellungen sublimiert konnte er sie in die Gußform fließen lassen. Er war als Gotiker
29) Fritz Goldschmidt, a. a. O. 157.


Fig. 56 Elfenbeingruppe, Wien, Hofmuseum
 
Annotationen