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Ei Tiktze-Conrat Beiträge zur Geschichte der italienischen Spätrenaissance- und Barockskulptur
Fig. 57 Bronzefigur, Sammlung Pierpont Morgan (nach v. Bode, Bronzestatuetten der ital. Ren.)
nach Florenz gekommen, hatte von Michelangelo und seiner Schule sich seinen Motiven-
schatz geholt und seiner neuen und alten Heimat die 'Bronzekunst geschenkt.
Von Bologna ist eine liegende Frauenstatuette als sicherer Typus überliefert, der sein
Verhältnis zu Michelangelo scharf kennzeichnet. (Exemplare, bald mit bald ohne Satyr,
kommen wiederholt vor.) Diese Schlafende wirkt wie eine Travestie neben Michelangelos
Nacht. In dieser von Träumen gerüttelten gewaltigen Frau ist nirgends ein Rastpunkt, in
den sich die Schwere des Körpers einsenken könnte; das linke Bein ist hochgezogen, der
rechte Ellbogen darübergeworfen, ohne einen Halt zu finden, gleitet er ab. Bolognas Frau
ist ganz hingegossene Ruhe. Wie anders sind ihre Beine gelockert, wie anders greift sie
mit der Rechten über den Leib zum Fuß und legt die Tiefendiagonale in die Komposition!
In dieser Figur ist eine reichbewegte feine Linie, eine klare Behandlung der Oberfläche;
aber nirgends die Andeutung nur, daß der Künstler seine Komposition einem dekorativen
Ganzen unterordnen wollte; keine Bindung im Raum, in Luft und Umgebung. Es ist abstrakte
Kunst, Bronzekunst im besten Sinne.
Der Kopf der schreibenden Frau erinnert ein wenig in dem feinen Geriesel der Locken
und den großen Zügen des Antlitzes an die Statuette der Astronomie des Hofmuseums oder
die Marmorfigur der Tugend, die das Laster überwindet. Dieser Hinweis auf die 1570 voll-
endete Gruppe mag uns vorläufig für die Datierung einen Anhaltspunkt geben. Die kleine
Steinreplique verändert die geschlossene Komposition ins Holprige, Geflickte, die große
Modellierung ins zierlich Gebrechliche. Der rechte Arm ist nicht mehr so sicher gelagert,
Ei Tiktze-Conrat Beiträge zur Geschichte der italienischen Spätrenaissance- und Barockskulptur
Fig. 57 Bronzefigur, Sammlung Pierpont Morgan (nach v. Bode, Bronzestatuetten der ital. Ren.)
nach Florenz gekommen, hatte von Michelangelo und seiner Schule sich seinen Motiven-
schatz geholt und seiner neuen und alten Heimat die 'Bronzekunst geschenkt.
Von Bologna ist eine liegende Frauenstatuette als sicherer Typus überliefert, der sein
Verhältnis zu Michelangelo scharf kennzeichnet. (Exemplare, bald mit bald ohne Satyr,
kommen wiederholt vor.) Diese Schlafende wirkt wie eine Travestie neben Michelangelos
Nacht. In dieser von Träumen gerüttelten gewaltigen Frau ist nirgends ein Rastpunkt, in
den sich die Schwere des Körpers einsenken könnte; das linke Bein ist hochgezogen, der
rechte Ellbogen darübergeworfen, ohne einen Halt zu finden, gleitet er ab. Bolognas Frau
ist ganz hingegossene Ruhe. Wie anders sind ihre Beine gelockert, wie anders greift sie
mit der Rechten über den Leib zum Fuß und legt die Tiefendiagonale in die Komposition!
In dieser Figur ist eine reichbewegte feine Linie, eine klare Behandlung der Oberfläche;
aber nirgends die Andeutung nur, daß der Künstler seine Komposition einem dekorativen
Ganzen unterordnen wollte; keine Bindung im Raum, in Luft und Umgebung. Es ist abstrakte
Kunst, Bronzekunst im besten Sinne.
Der Kopf der schreibenden Frau erinnert ein wenig in dem feinen Geriesel der Locken
und den großen Zügen des Antlitzes an die Statuette der Astronomie des Hofmuseums oder
die Marmorfigur der Tugend, die das Laster überwindet. Dieser Hinweis auf die 1570 voll-
endete Gruppe mag uns vorläufig für die Datierung einen Anhaltspunkt geben. Die kleine
Steinreplique verändert die geschlossene Komposition ins Holprige, Geflickte, die große
Modellierung ins zierlich Gebrechliche. Der rechte Arm ist nicht mehr so sicher gelagert,