Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 15.1894

DOI Heft:
Abhandlungen
DOI Artikel:
Schneider, Robert von: Die Erzstatue vom Helenenberge
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.5906#0131
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ii4

Robert von Schneider.

vor Augen.1 Selbstverständlich pflegt namentlich der Laie rituelle Gesten nicht mit der pedantischen
Genauigkeit auszuführen, mit der ein gedrillter Rekrut seine Gewehrgriffe zu machen hat, und ein
treues Spiegelbild dieser Mannichfaltigkeit sehen wir in den zahlreichen Monumenten, in Vasengemäl-
den, in denen nicht selten opfernde Priester dargestellt sind, in Votivreliefs, auf welchen wir ganzen
Schaaren Adorirender begegnen. Gewiss hat weder Gebrauch noch irgend eine Vorschrift bestimmt,
in welchem Winkel der Vorderarm des Betenden gebogen, bis zu welcher Höhe seine Hand erhoben

werden sollte. Aus der unabsehbaren Zahl individuell be-
dingter Abwandlungen war es ein gutes Recht des Künstlers
zu wählen, was ihm frommte. Der strenge Ernst in Haltung
und Miene unserer Figur, die Aufmerksamkeit, mit der ihr
Blick dem Gestus des rechten Armes folgt, lassen keinen
Zweifel an der Richtigkeit dieser Deutung übrig. Zu allem
Ueberflusse kann dies auch das Bild einer attischen Schale aus
dem fünften Jahrhunderte im britischen Museum2 beweisen:
der Palastrite, der hier mit einer wie nach unserer Statue ge-
zeichneten Bewegung des rechten Armes vor den Altar tritt,
kann nur ein Betender sein. Die Bronzefigur zeigt auch die
Finger der Hand gespreizt, wie es nach einer Stelle des Philo-
stratus3 beim Gebete üblich war. Finden wir in manchen
Darstellungen bei betenden Figuren geschlossene Finger, so
dürfte der Grund dieser Abweichung von einer sonst allgemein beachteten Regel entweder in dem
kleinen Massstabe oder in der flüchtigen Ausführung dieser Monumente, in gewissen Fällen auch in
dem Ungeschicke des alterthümlichen Stiles zu suchen sein.

Wie schon gesagt, sind die Finger der gesenkten linken Hand der Statue in neuer Zeit ergänzt
worden. Gewiss waren sie nicht ursprünglich so wie jetzt gebogen; denn sie hielten den kurzen Wurf-
spiess, das äy.öv-utov, dessen sich die Kämpfer im Pentathlon bedienten. Dies geht deutlich aus dem
breiten geleiseartigen Eindruck hervor, den der runde Stiel der Lanze im Daumenballen zurückgelassen
hat, und, irre ich mich nicht, so ist auch noch auf der Schulter des Epheben die Stelle, wo der Wurfspiess
seinen Körper berührte, zu erkennen. Somit haben wir in unserer Statue das Bild eines Siegers im
Fünfkampfe vor uns. Die Lanze in der einen Hand, erhebt er betend die andere. Er erfleht nicht»
beide Arme zum Himmel emporstreckend, die Hilfe der Ueberirdischen für den bevorstehenden Kampf
sondern still und gemessen wie in scheuer Ehrfurcht tritt er vor den Gott, ihm für den errungenen Sieg
zu danken. ■* Mit der rechten Hand betend hat Dameas aus Kroton seinen berühmten Landsmann Milon
in dessen Statue zu Olympia dargestellt5 und die gleiche typische Geberde gab Kallikles aus Megara dem

gegenüber nicht ins Gewicht; es kam mehr darauf an, den Gedanken der Anbetung auszudrücken als die einzelne Person >°
betender Stellung zu porträtiren«. Ueber die Inschrift später. C. Sittl, Die Gebärden der Griechen und Römer (Leipzig 189°)»
S. 3o8f., Anm. 6, meint dagegen, dass die Statue keinen betenden Jüngling darstellen kann, »weil der Blick schräge seitwärt5
gerichtet und etwas gesenkt (?), die Hand aber nach der gleichen Richtung nur wenig gehoben ist; dies könnte recht wob'
eine Gebärde der Ueberlegung oder der sinnigen Rede sein, welche für Hermes passte«. Sein Hinweis auf die Münze vo"
Abdera, Imhoof-Blumer, Monnaies grecques, S. 39, Taf. C, Nr. 3, ist mir unverständlich.

1 Vgl. die von Voullieme, Quomodo veteres adoraverint, S. 19 f., angeführten Beispiele.

2 Catalogue of the greek and etruscan vases, Bd. I, Nr. 984. Abgebildet im Jahrbuch des deutschen archäologisch«11
Institutes, Bd. I, S. 12 und danach oben.

3 Philostrati vita Apollonii IV, 28; s. unten Anmerkung 5.

4 Vgl. die damit übereinstimmende Auffassung von Chr. Scherer, De Olympionicarum statuis, S. 33 f.

5 Flavii Philostrati vita Apollonii IV, 28, ed. C. L. Kayser: ö yäp MiXwv iatavcei jaev sju oioxou Boxe? tu> jtoSe ctrl<P°'
au|j.ßsßr)x(ü;, £o'av Se ^uvs/ei tr) äpiaTEpa, r) Seijiä Se, öp#oi Trj; X£lP°S ixEivrjs ot SaxiuXoi xai otov SiEipovtE; . . . •

8s yiyvaxjxoas röv vouv xou MiXwvos, KpoTamärai töv ä#)a]Trjv toütov IspEa la-ofcaviro ttj? "Hpas. tt)v u.sv orj p-ixpav 0 v. X9*l vo£'V'
xt 8v ä?r)yo![j.r)v Ixi, [ivrjfiovEuoa; kpEw? dvSpbs; Se (io'vr) tputtöv t?) "Hpa ^püewi, 6 Se ujio xois %oai oiaxos, Im aoroSiou ßißri11^

b kpEu? Trj "Hpa £Ü](STai, touti Se xa\ 7) Se5ia <jr)[j.atvst, tb Se 2pyov tüv SocxtüXcov xai To u,j5jtu> Sieotoi; tfj apX5".'
ayaXfxatojtoua 7cpo<JXE!o#iü. Vgl. Pausanias VI, 14, $• Ein Fragment der runden Basis dieser Statue wurde in Olymp'8
gefunden, E. Loewy, Inschriften griechischer Bildhauer, Nr. 414.
 
Annotationen