Die Porträtsammlung des Erzherzogs Ferdinand von Tirol.
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falls untersuchte, nennt den Vater einen vierzigjährigen, den Sohn einen zwanzigjährigen Mann und erwähnt eine
Tochter von 12 und eine andere von 8 Jahren. Die Zeit der Abfassung dieser Notiz bestimmt Bartels auf das
Decennium 1590—1600; sie lässt sich noch genauer bestimmen. Der Sohn, der nach Platner's Angabe 1583
7 Jahre zählte, also 1576 geboren war, erreichte das
20. Lebensjahr, das ihm Aldrovandi zuschreibt, 1596; dass
beide ebengenannten Naturforscher einen und denselben
Sohn meinen, steht ausser Zweifel.1 Da ferner damals
der Vater 40 Jahre zählte, muss er 1556 geboren, also
noch als Kind nach Paris gekommen sein. Da endlich das
Mädchen, welches Plater anführt, 1574 zur Welt kam,
muss die Vermählung der Eltern spätestens anfangs
1574 oder noch 1573, also im 17., wahrscheinlich im
18. Lebensjahre des Vaters, mithin zur Zeit, als er schon
in Flandern weilte, stattgefunden haben. In der That
erinnert die Tracht der Frau an niederländisches
Costume. Diese ältere Tochter erwähnt Aldrovandi nicht
mehr (sie wäre, als er seinen Bericht schrieb, 22 Jahre
alt gewesen); es scheint also, dass sie zwischen 1583 und
1596 gestorben ist. Die anderen Mädchen, die Aldrovandi
als zwölf- und achtjährig bezeichnet, müssen 1584 und
1588, also in Italien geboren worden sein. Das zwölfjährige
ist wahrscheinlich jene Tognina (Antonia) in Parma,
deren Bildniss der Stecher Giacomo Franco in Venedig
in Kupferstich herstellen Hess;2 es heiratete später und
brachte gleichfalls behaarte Kinder zur Welt.
Ausser den Abbildungen bei Aldrovandi3 und
auf dem ebengenannten Kupferstiche finden sich noch
zwei in Oel ausgeführte Aufnahmen unserer haarigen
Familie. Der Zeit nach die ältere ist die im Schlosse
Ambras befindliche.* Sie umfasst vier lebensgrosse
und in ganzer Figur hergestellte Porträte, nach
welchen die hier folgenden Bilder schon unter Erz-
herzog Ferdinand copirt wurden. Da das ältere Mädchen (Nr. 156) nach Bartel's fachmännischem Ur-
theile 5 bis 7, der Knabe (Nr. 157) 3 bis 5 Jahre alt ist, sind die Originale zwischen 1579 und 1581
entstanden, und zwar in München. Darauf deutet die Bezeichnung des alten Schlossinventars und des
Inventars der Ambrasersammlung vom Jahre 1621 (»rauch Mann zu Münichen«) hin.5 Es scheint,
1 Aldrovandi spricht von einem Sohne, der zwischen 1590 und 1600 zwanzig Jahre zählte, also zwischen 1570 und
1580 geboren war. Die unten zu nennenden Abbildungen der haarigen Familie aus den Jahren 1579 bis 1581 und 1582
auf 1583 kennen nur einen Sohn, ebenso Platner im Jahre 1583. Hatten die Haarmenschen noch einen zweiten Sohn,
so muss dieser entweder vor 1579 gestorben sein und kann zwischen 1590 und 1600 nicht mehr gelebt haben oder er
wäre erst, als die Familie Deutschland verlassen hatte, also in Italien geboren worden und könnte, da dieses 1583 geschah,
zwischen 1590 und 1600 erst 7 bis 17 Jahre alt gewesen sein.
2 Vgl. Ritter v. Frauenfeld, Neu aufgefundene Abbildung der Dronte, Wien 1868, und Bartels, a. a. O., S. 173, Taf. VII,
Fig. 5. Der Kupferstich befindet sich in der k. k. Hof bibliothek.
3 Reproducirt bei Bartels, a. a. O., Taf. VII, Fig. 1 — 4.
4 A. Ilg und W. Boeheim, a. a. O., S. 77, jetzt an den Wänden der rückwärtigen Treppe aufgestellt. Nach Photo-
graphien von Bopp in Innsbruck wurden die Holzschnitte (im Gegensinne) angefertigt, welche der Abhandlung von C. Th.
Siebold, Die haarige Familie von Ambras (Archiv für Anthropologie, Bd. X [1878], S. 253f.) beigegeben sind. — Copien in
gleicher Grösse wie die Originale befinden sich als Geschenk Sr. Majestät des Kaisers Franz Josef im Hörsaale der Klinik
für Hautkrankheiten (Hebra) in Wien.
5 Die Bezeichnungen »der haarige Mann aus München« und »der rauch man zu Münichen« geben die mündlichen
Traditionen im Schlosse zu Ambras um die Zeit des Todes des Erzherzogs Ferdinand wieder. Sie lassen zweierlei Aus-
legungen zu, die eine, dass die Bilder der haarigen Familie aus München stammen, die andere, dass sich der rauhe Mann
selbst zur Zeit, als er und seine Familie porträtirt wurden, in München aufhielt. Die letztere Deutung hat für sich, dass
man zu jener Zeit in der That Riesen, Zwerge, Wundermenschen an befreundete Höfe verschickte. Wahrscheinlich hat also
der Haarmensch, bevor er sich nach Parma begab, eine Reise nach Deutschland unternommen, und hat sich 1579 und
1581 am Münchener Hofe, 1582 vielleicht an jenem von Wien oder Prag aufgehalten, worauf die jüngere Aufnahme seiner
Familie hindeutet.
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falls untersuchte, nennt den Vater einen vierzigjährigen, den Sohn einen zwanzigjährigen Mann und erwähnt eine
Tochter von 12 und eine andere von 8 Jahren. Die Zeit der Abfassung dieser Notiz bestimmt Bartels auf das
Decennium 1590—1600; sie lässt sich noch genauer bestimmen. Der Sohn, der nach Platner's Angabe 1583
7 Jahre zählte, also 1576 geboren war, erreichte das
20. Lebensjahr, das ihm Aldrovandi zuschreibt, 1596; dass
beide ebengenannten Naturforscher einen und denselben
Sohn meinen, steht ausser Zweifel.1 Da ferner damals
der Vater 40 Jahre zählte, muss er 1556 geboren, also
noch als Kind nach Paris gekommen sein. Da endlich das
Mädchen, welches Plater anführt, 1574 zur Welt kam,
muss die Vermählung der Eltern spätestens anfangs
1574 oder noch 1573, also im 17., wahrscheinlich im
18. Lebensjahre des Vaters, mithin zur Zeit, als er schon
in Flandern weilte, stattgefunden haben. In der That
erinnert die Tracht der Frau an niederländisches
Costume. Diese ältere Tochter erwähnt Aldrovandi nicht
mehr (sie wäre, als er seinen Bericht schrieb, 22 Jahre
alt gewesen); es scheint also, dass sie zwischen 1583 und
1596 gestorben ist. Die anderen Mädchen, die Aldrovandi
als zwölf- und achtjährig bezeichnet, müssen 1584 und
1588, also in Italien geboren worden sein. Das zwölfjährige
ist wahrscheinlich jene Tognina (Antonia) in Parma,
deren Bildniss der Stecher Giacomo Franco in Venedig
in Kupferstich herstellen Hess;2 es heiratete später und
brachte gleichfalls behaarte Kinder zur Welt.
Ausser den Abbildungen bei Aldrovandi3 und
auf dem ebengenannten Kupferstiche finden sich noch
zwei in Oel ausgeführte Aufnahmen unserer haarigen
Familie. Der Zeit nach die ältere ist die im Schlosse
Ambras befindliche.* Sie umfasst vier lebensgrosse
und in ganzer Figur hergestellte Porträte, nach
welchen die hier folgenden Bilder schon unter Erz-
herzog Ferdinand copirt wurden. Da das ältere Mädchen (Nr. 156) nach Bartel's fachmännischem Ur-
theile 5 bis 7, der Knabe (Nr. 157) 3 bis 5 Jahre alt ist, sind die Originale zwischen 1579 und 1581
entstanden, und zwar in München. Darauf deutet die Bezeichnung des alten Schlossinventars und des
Inventars der Ambrasersammlung vom Jahre 1621 (»rauch Mann zu Münichen«) hin.5 Es scheint,
1 Aldrovandi spricht von einem Sohne, der zwischen 1590 und 1600 zwanzig Jahre zählte, also zwischen 1570 und
1580 geboren war. Die unten zu nennenden Abbildungen der haarigen Familie aus den Jahren 1579 bis 1581 und 1582
auf 1583 kennen nur einen Sohn, ebenso Platner im Jahre 1583. Hatten die Haarmenschen noch einen zweiten Sohn,
so muss dieser entweder vor 1579 gestorben sein und kann zwischen 1590 und 1600 nicht mehr gelebt haben oder er
wäre erst, als die Familie Deutschland verlassen hatte, also in Italien geboren worden und könnte, da dieses 1583 geschah,
zwischen 1590 und 1600 erst 7 bis 17 Jahre alt gewesen sein.
2 Vgl. Ritter v. Frauenfeld, Neu aufgefundene Abbildung der Dronte, Wien 1868, und Bartels, a. a. O., S. 173, Taf. VII,
Fig. 5. Der Kupferstich befindet sich in der k. k. Hof bibliothek.
3 Reproducirt bei Bartels, a. a. O., Taf. VII, Fig. 1 — 4.
4 A. Ilg und W. Boeheim, a. a. O., S. 77, jetzt an den Wänden der rückwärtigen Treppe aufgestellt. Nach Photo-
graphien von Bopp in Innsbruck wurden die Holzschnitte (im Gegensinne) angefertigt, welche der Abhandlung von C. Th.
Siebold, Die haarige Familie von Ambras (Archiv für Anthropologie, Bd. X [1878], S. 253f.) beigegeben sind. — Copien in
gleicher Grösse wie die Originale befinden sich als Geschenk Sr. Majestät des Kaisers Franz Josef im Hörsaale der Klinik
für Hautkrankheiten (Hebra) in Wien.
5 Die Bezeichnungen »der haarige Mann aus München« und »der rauch man zu Münichen« geben die mündlichen
Traditionen im Schlosse zu Ambras um die Zeit des Todes des Erzherzogs Ferdinand wieder. Sie lassen zweierlei Aus-
legungen zu, die eine, dass die Bilder der haarigen Familie aus München stammen, die andere, dass sich der rauhe Mann
selbst zur Zeit, als er und seine Familie porträtirt wurden, in München aufhielt. Die letztere Deutung hat für sich, dass
man zu jener Zeit in der That Riesen, Zwerge, Wundermenschen an befreundete Höfe verschickte. Wahrscheinlich hat also
der Haarmensch, bevor er sich nach Parma begab, eine Reise nach Deutschland unternommen, und hat sich 1579 und
1581 am Münchener Hofe, 1582 vielleicht an jenem von Wien oder Prag aufgehalten, worauf die jüngere Aufnahme seiner
Familie hindeutet.
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