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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 15.1894

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Abhandlungen
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Schlosser, Julius von: Elfenbeinsättel des ausgehenden Mittelalters
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https://doi.org/10.11588/diglit.5906#0292
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Elfenbeinsättel des ausgehenden Mittelalters.

2ÖI

Kleidungsstück bildeten, von ihren Rittern als Minnekleinodien und Erkennungszeichen beim Turnier
auf dem Helme.getragen wurden.'

Der Sattel ist durch das hier abgebildete (in der Heliogravüre nicht sichtbare) Drachenband in
zwei Hälften getheilt (Fig. 1). Der Vordersteg zeigt auf der linken Seite die auf diesen Sätteln, wie wir
noch sehen werden, überhaupt ständige Darstellung des ritterlichen Patrons, St. Georgs als Drachen-

Fig. t. Detail vom Sattel Wenzel I.

tödters. Ueber diesem erscheint ein Castell. Die neben dem Heiligen befindliche Figur mit den kreuz-
weise übereinander gelegten, wohl gefesselten Händen ist offenbar die von ihm befreite Königstochter.
Die anderen Figuren, Ritter und Damen, sollen wahrscheinlich den zuschauenden Chor vorstellen. Um
die Schnecke herum schlingt sich noch einmal, wohl rein ornamental gedacht, der Drache.

Die Gegenseite zeigt Damen und Ritter in verschiedenen Stellungen. Zwei Figuren fallen be-
sonders auf: die Dame, welche einen unverhältnissmässig grossen Ring in der Hand hält, und die
weibliche Figur über ihr, welche in der linken Hand eine Krone
hält und sich mit der Rechten an den Fuss fasst, als ob sie den Schuh
ausziehen wollte: eine mir unverständliche Handlung. Ob diese
Figuren zu der Georgslegende gehören oder aber, was mir wahr-
scheinlicher ist, einen selbstständigen Stoff der ritterlichen Poesie
darstellen sollen, darüber wage ich keinen Ausspruch. Durch die
Geberde der genannten Figur und die Krone, die sie in der Hand
hält, möchte man sich fast an das bei fast allen Völkern heimische
Märchen vom Aschenbrödel erinnern, dessen Pointe — die Suche des
Königssohnes nach der Eigenthümerin des zierlichen Schuhes —
schon in der ägyptischen, bei den alten Schriftstellern erzählten Sage
von Rhodope-Nitokris auftritt; eben wieder einer jener uralten, von
Volk zu Volk wandernden, alle Zeiten überdauernden novellistischen
Stoffe.2 Jedoch ist mir kein Beispiel bekannt, dass die eigentliche
Sagen- und Märchenpoesie des Volkes auf die in den Städten und
Burgen concentrirte und einem ganz anders gearteten Boden ent-
wachsene bildende Profankunst jemals eingewirkt hätte: diese be-
handelt die romantischen, gelehrten, moralischen Stoffe, an denen
sich Ritter und Bürger ergötzten; was sich das Bauernvolk, das ja in
der Literatur und Kunst auf lange hinaus nur vom satyrischen Stand-
punkte Beachtung findet, draussen im flachen Lande, in einsamen

Dörfern erzählte, das wurde, lange als Ammen- und Kindergefabel verachtet, erst zu Ende des vorigen
Jahrhunderts von einsichtigen Männern nacherzählt und gesammelt und hat erst in der Romantik ein-
greifend auf die Kunst gewirkt.

Der Sattelknauf zeigt zunächst in einem Spruchbande, das leider auf der rechten Seite fragmentirt
ist, die deutsche, in Boeheim's »Führer durch die Waffensammlung« (Wien 1889, S. 22, Nr. 56) wohl

Fig. 2.

Liebessymbol vom Sattel Wenzel 1.

1 A. Schultz, Das höfische Leben zur Zeit der Minnesänger, 2. Aufl., 1889, Bd. I, S. 253 und 604t.; Bd. II, S. 77; ein
Acrmel als »Frauengunst« noch aus der Zeit Erzherzogs Ferdinand von Tirol bei Sacken, Rüstungen der Ambrasersammlung,
Bd. II, Taf. 54.

2 Vgl. meinen Aufsatz: »Die Bedeutung der Quellen für die neuere Kunstgeschichte-, in der Beilage der »Münchener
Allgemeinen Zeitung«, 1892.
 
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