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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 15.1894

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Abhandlungen
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Schlosser, Julius von: Elfenbeinsättel des ausgehenden Mittelalters
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https://doi.org/10.11588/diglit.5906#0323
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Elfenbeinsättel des ausgehenden Mittelalters.

29I

Hofe Karl VI. von Frankreich aufgeführten und von Goethe im zweiten Theile des »Faust« benützten
»Ballet des Ardents«, sondern auch im figürlichen, symbolischen Sinne. Es ist eine eigenthümliche,
ganz in der romantischen Empfindung wurzelnde Verkleidung, in welcher uns der Zug nach der freien
ungebundenen Natur in Wald und Feld, der allen decadenten Perioden (auch das Ende des Mittelalters
ist eine solche) eigen zu sein pflegt, hier entgegentritt. Eine der reichsten und anmuthigsten Dar-
stellungen des Lebens der Waldleute befindet sich auf einem prächtigen Holzkästchen der Samm-
lung kunstgewerblicher Gegenstände im kunsthistorischen Hofmuseum.1

Auf die Rolle der wilden Männer innerhalb der erotischen Allegorien des Mittelalters habe ich
schon früher in diesem Jahrbuche2 hingewiesen. Ich möchte hier noch einige Darstellungen nach-
tragen, die insbesondere auf die Reliefs unserer Sättel einiges Licht werfen.

In der reichen mittelalterlichen Sammlung in Basel befindet sich ein Brautkästchen des XIV. Jahr-
hunderts aus Holz, wahrscheinlich aus der Ostschweiz stammend.3 Die Vorderseite zeigt eine ver-
gebliche Liebeswerbung: ein Ritter hält seiner Dame knieend ein Spruchband entgegen: »la. sin.«
Doch sie wehrt ihn ab mit den Worten: »ich tun, ob ich wil.« Doch ein Vogel, der hinter dem Abge-
wiesenen auf einem Baume sitzt, lässt sich ermunternd vernehmen: »la nit ab.« Unter dem Schlosse
sieht man die Initiale: I). Die (heraldisch) linke Seite zeigt innen die spröde Jungfrau gekrönt,
sitzend, ihr gegenüber auf einem Felsen das Einhorn, ungefähr den gleichen Gegenstand, den Vittore
Pisano in jener oben erwähnten schönen Medaille behandelt hat. Das Spruchband ist leider nicht
lesbar.

Die rechte Schmalseite trägt eine eigenthümliche Darstellung: die Jungfrau führt ihren Lieb-
haber unter der Maske eines wilden Mannes an einer Kette gefesselt mit sich. Dabei die Inschrift:

jom unb milb
mitd)t mtd) am bilb.

Die Rückseite zeigt, wie sich das Paar doch endlich gefunden hat. Rechts sitzt der Ritter mit
dem Spruchbande: »s(tete) tr(iuwe) se(nd) ich dir«; hinter ihm ein Hund: »ich bill«. Links antwortet
die Dame: »die hast o(uch) v(on) m(ir)«; der Hund hinter ihr: »belib stet«. Dazwischen sitzen auf
einem Baume zwei Vögel, deren einer ein S, der andere das Symbol zweier verbundenen Hände im
Schnabel hält. Auf dem Deckel befindet sich in einem Medaillon, das die Umschrift trägt: »Ich dien,
als mir geboten ist«, ein sitzender Hund als Sinnbild der Treue.

Sowohl auf dem Sattel Wenzel I. als auf einigen anderen Stücken haben wir männliche und
weibliche Figuren gefunden, welche phantastische Thiere an Ketten gefesselt führten oder mit ihnen
ini Kampfe begriffen waren. Nun gibt es eine Anzahl von Teppichen des ausgehenden Mittelalters,
welche uns in der Deutung dieser Darstellungen zu Hilfe kommen.

Dasselbe Thema, welches auch die Drolerien der Wenzelsbibel so oft variiren: die Allmacht der
Liebe, die auch das Wildeste und Sprödeste unter ihr Joch beugt, behandelt ein Wollenteppich (Rück-
laken) des XV. Jahrhunderts in der mittelalterlichen Sammlung zu Basel.* Hier sehen wir einen
modisch gekleideten Jüngling, der zwei phantastische Thiere hält. Sein Spruchband besagt:

for mir mag kein bier |td) gcfrt|lcn
baj fdjaff id) alles mit meinen liften.

Ihm gegenüber steht eine junge Dame, die zwei ähnliche Fabelwesen, darunter einen Greifen,
führt und sich der Macht ihrer Minne rühmt:

mit meiner minne id) fdjroingeit (sie) kau
löilbe bier unb aud) barju bie man.

1 Saal XVII, Vitrine III, Nr. 7.

2 Bd. XIV, S. 283.

3 Abgebildet bei Heyne, Kunst im Hause, II. Heft, Taf. 29.
* Heyne, Kunst im Hause, Heft I, Taf. III und IV.

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