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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 16.1895

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Abhandlungen
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Ilg, Albert: Das Neugebäude bei Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.5778#0130
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I 20

Albert Ilg.

also wohl bald nach dem Einfalle der Kuruzzen aufgenommen worden sein. Im Vordergrunde erblickt
man statt des schönen Blumengartens beim Teiche nur einen unordentlichen Bretterzaun mit wüstem
Gebüsch dahinter; die Hirsche grasen im freien Feld. Die beiden Terrassen sind ungenau angegeben,
ebenso die Arcaden des Schlosses nach Zahl und Form; interessant ist aber, dass dieser Zeichner die
Statuen auf der Attika deutlich angibt. Das Dach ist über dem Mittelbau und der westlichen Colonnade
niedergebrannt; ein kahler Giebel steht empor und durch die offenen Arcaden sieht man die nieder-
gestürzten Sparren. Sehr schlecht ging es dem Zeichner mit der Perspective der vier grossen Thürme
an den Ecken des inneren Gartens zusammen; der gegen Ebersdorf gerichtete ist gar wie ein colossaler
Kuppeldom ausgefallen. Hinter dem südwestlichen steigen die drei Spitzen des Wasserthurmes — zu
nahe — empor und an der Ecke erscheinen auf dieser Seite unerklärliche fremdartige Gebäude.

Ich kann nicht unterlassen, mich der Hoffnung hinzugeben, dass die Zukunft vielleicht doch noch
im Neugebäude bedeutendere kunsthistorische Entdeckungen werde machen können, als uns heute
möglich ist. In der Gegenwart, da alle die Thürme und das Hauptgebäude von Pulver, Spreng-
geschossen, Ecrasit, Dynamit, Nitroglycerin etc. von unten bis zum Dache angefüllt sind, vergeht dem
Kunstforscher natürlich die Lust, die Wände abzukratzen und sich in genauere Untersuchungen ein-
zulassen, wenn solche auch überhaupt erlaubt wären. Aber es wird wohl voraussichtlich nicht mehr
lange bei dem alten Zustande bleiben können. Ein solches militärisches Etablissement dürfte sich auf
die Dauer in einem alten Lustschlosse des XVI. Jahrhunderts nach den modernen Erfordernissen wohl
kaum als zweckdienlich installirt erweisen und weiters möchte das neue, heute schon über das Terri-
torium des Pulvermagazins ausgedehnte Wien in demselben doch bald einen überaus unheimlichen Gast
in seinem Weichbilde erblicken. Es ist somit nur eine Frage der Zeit, dass der gefährliche Inhalt des
Neugebäudes an eine andere, von der Hauptstadt entferntere Stelle gebracht werden und damit das
Lustschloss Maximilians und Rudolfs einer kunstgeschichtlichen Untersuchung zugänglich gemacht
werden dürfte. Man kann nun gar nicht voraussehen, was für Resultate eine solche liefern würde. Es
ist sehr möglich, dass sich dann unter der Tünche in den zehn runden sowie im Wasserthurm und im
Hauptgebäude Frescogemälde Spranger's, van Mander's, Giulio Licinio Pordenone's und anderer Meister
in Hülle und Fülle vorfinden werden; nach der Analogie von ähnlichen Fällen ist es aber ebensogut
denkbar, dass diese kostbaren Zeugnisse zweier kunstsinniger habsburgischer Fürsten und ihres hohen
Geschmackes längst vernichtet sind und auch unter der Tünche das leere Nichts zum Vorschein
kommen werde. Immerhin liegt der Fall für dieses hochwichtige Denkmal so, dass die Kunstfreunde
bei einer früheren oder späteren Schicksalswendung des Gebäudes alle Anstrengungen machen müssen,
aufdass dasselbe nach seiner Entleerung von seinem gegenwärtigen Inhalte, bevor es einer neuen Be-
stimmung oder gar etwa der nicht genug zu perhorrescirenden Demolirung überantwortet würde, eine
gründliche Erforschung von kunsthistorisch-competenter Seite erfahren möge. Auch in dem zu einer
Kaserne verwendeten Castell in Trient schlummern unter der stets erneuerten Kalktünche der Mann-
schaftszimmer, wie man dort bestimmt weiss, heute noch Fresken; sollte dies nicht auch im Neu-
gebäude der Fall sein, wo man sich bei der Adaptirung zu einem Pulvermagazin doch gewiss nicht erst
die Mühe gegeben haben wird, die Wandgemälde alle sorgfältig zu vernichten, sondern sich damit
begnügt haben dürfte, sie weiss zu überstreichen, als Magazine aus den ehemaligen Sälen der Kaiser
gemacht wurden? Ich habe mich, nachdem es mir nach jahrelangem Verlangen gelang, endlich an
der Seite eines Mitgliedes der Allerhöchsten Familie dort Eingang zu finden, davon überzeugt, dass
heute alle Expeditionen in das merkwürdige Gebäude, so schwer sie auch überhaupt zu erreichen sind,
doch in der Hauptsache ohne Resultat bleiben müssen, so lange nicht dort an den kalkbedeckten
Wänden eingehende Untersuchungen angestellt werden können. Ein Gang durch die Räume kann wie
der meine wohl zur Aufhellung der baulichen Dispositionen dienen, die in vorliegender Schrift im
 
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