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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 19.1898

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Abhandlungen
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Hermann, Hermann Julius: Miniaturhandschriften aus der Bibliothek des Herzogs Andrea Matteo III. Acquaviva
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https://doi.org/10.11588/diglit.5780#0190
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Miniaturhandschriften aus der Bibliothek des Herzogs Andrea Matteo III. Acquaviva.

175

Jupiter erklärten, und die Gründung Alexandriens, der später so mächtigen Handelsstadt, dürfte den
Gegenstand unserer Darstellung bilden.

Ueber diesen Grad von Wahrscheinlichkeit kommen wir bei der Deutung der beiden eben
erwähnten Bilder nicht hinaus. In beiden Fällen würde auf Alexanders edlen Charakter Bezug ge-
nommen sein. Porus gegenüber erwies er seinen hohen Edelmuth, seine Seelengrösse ([A£YaXo'i/uyta);
durch die Gründung Alexandriens erwarb er sich die Bewunderung seines Hochsinnes, seiner Gross-
herzigkeit ([/.SYotXoirpezeta);1 war er ja von den Ammonspriestern für den Sohn eines Gottes erklärt
worden.

Wie in der Anlage, so stimmt die Miniatur auch in der Ausführung mit der vorhergehenden
überein. Auch sie zeichnet sich durch peinliche Sorgfalt in der Modellirung und ein leuchtendes
Colorit aus. Von besonderer Schönheit ist die sanfte Abtönung des blauen Himmels gegen den
Horizont. Doch fehlt es nicht an Verstössen gegen die Perspective und Verzeichnungen. Hinsichtlich
der Zartheit der Durchbildung nimmt diese und die vorhergehende Miniatur den ersten Platz unter
den zehn Bildern des Codex ein.

V. Buch: Das ganze fünfte Buch ist der Besprechung der Gerechtigkeit (8txaiOff6vY)) gewidmet, die
Aristoteles mit Plato für die bedeutendste aller Tugenden erklärt; denn sie schliesse alle anderen in sich. Was
das Gesetz vorschreibt, ist gerecht; was es verbietet, ungerecht; denn die Gesetze streben das an, was für alle
Staatsangehörigen das Beste ist. Wer Gerechtigkeit besitzt, übt sie nicht nur gegen sich selbst sondern auch
gegen Andere; deshalb ist sie auch eine vollendete Tugend. Von dieser allgemeinen Gerechtigkeit ist die
besondere wohl zu unterscheiden, welche ein Theil der Tugend ([J-epo; dpET^q) ist. Ihr Wesen geht auf die
Gleichheit, das l'cyov. Sie zerfällt in zwei Arten:

a) in die austheilende Gerechtigkeit (ScavepwjTW^, d. i. distributiva) und b) in die ausgleichende Gerech-
tigkeit (SiopQamy.rj, d. i. legitima).

Jene bezieht sich auf die richtige Vertheilung der Güter und Ehren unter die Mitglieder des Staates, diese
auf den Ausgleich im Privatverkehre. Diese Ausgleichungen geschehen theils freiwillig (ey.oücca), wie bei Kauf,
Tausch und Miethe, theils unfreiwillig (ay.ousta), wie bei Diebstahl, Mord oder Raub. Während bei der aus-
theilenden Gerechtigkeit die persönliche Würdigung in Betracht kommt, sie daher auf einer geometrischen Pro-
portion beruht, folgt die ausgleichende Gerechtigkeit einer arithmetischen Proportion, weil bei ihr nicht der
Werth der Person sondern nur der Vortheil (y.späoq) und Nachtheil (£r)|j.(a) in Betracht kommt. Keineswegs
besteht aber das Gerechte in der Wiedervergeltung, wie man aus dem Ausspruche des Rhadamanthys: »Leidest du,
was du gethan, so ist das Recht in der Ordnung«, vermuthen möchte. Das gerechte Handeln liegt vielmehr in
der Mitte zwischen Unrechtthun und Unrechtleiden (&StxeTv v.a\ aSty-elsOac). Da aber die Gerechtigkeit auf dem
Gesetze beruht, kann sie nur im Staate bestehen. Das staatliche Recht2 ist aber theils ein natürliches (^uciiy.^),
welches nicht vom Belieben abhängt und überall Kraft hat, theils ein gesetzliches (vojj.iy.^), welches nur aus einer
grossen Anzahl von Fällen abgeleitet werden kann. Daraus erklärt sich die Bedeutung der Billigkeit (to externe?),
welche in allen im Gesetze nicht vorgesehenen Fällen so verfährt, wie es der Gesetzgeber thun würde, wenn er
zugegen wäre.

e) f. 36: Miniatur zum V. Buche (Tafel X).

Dem Inhalte des Buches entsprechend, bildet die Gerechtigkeit den leitenden Gedanken der
Miniatur. Sie ist horizontal in zwei Hälften getheilt. Ein gemeinsamer architektonischer Rahmen ver-
bindet das allegorische Centraibild mit den Seitenbildern; doch ist das Mittelbild durch eine besonders
prächtige Architektur hervorgehoben: Auf zwei Stufen erheben sich mit Kriegsemblemen geschmückte
Pfeiler, auf denen ein mit Eierstab und Zahnschnitt geziertes Gebälk aufruht. In den cubischen Posta-
menten der Pfeiler finden sich die Initialen A und M des Namens »Andreas Matheus«. Ueber dieser
Architektur des Mittelbildes ruht auf kurzen Pfeilern ein flacher Bogen, rechts und links von einem
goldenen Pegasus mit blauen Flügeln flankirt. Nach beiden Seiten schwingen sich von dieser Mittel-
architektur auf hohen Säulen ruhende Rundbogen für die Seitenbilder, über welchen das von Putten
gehaltene herzogliche Wappen prangt.

Auch das untere Breitbild ist rechts und links durch Rundbogen begrenzt, die auf einem reich
geschmückten Postamente ruhen, an dessen Risaliten rechts und links Guitarrenspieler in Relief dar-
gestellt sind.

1 Nach Aristoteles äussert sich die Grossherzigkeit in grossen Veranstaltungen, in Opfern, Ausrüstung von Schiffen
u. a. m. Eine Stadtgründung mag in noch höherem Sinne hieher gerechnet werden können.
3 Darüber handelt Aristoteles ausführlicher im IV., V. und VI. Buche seiner Politik.
 
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