Die Jugendwerke des Bartolommeo Suardi, genannt Bramantino.
23
Innern der Kirche angebracht ist (Fig. 14). Das Gemälde hat die grausamsten Verstümmelungen erfah-
ren. Bei einem Umbau des Kirchenportals im Jahre 1713 wurde es aus der Lünette, in die es gemalt war,
entfernt und erst nach Beendigung des Umbaues (1718) wieder dorthin gebracht. Doch muß es bei die-
ser Übertragung schon schwere Verletzungen erlitten haben; denn man sah sich veranlai3t, den unteren
besonders beschädigten Teil des Freskos zu entfernen. Nach dieser willkürlichen Verkleinerung
schützte man es durch ein von Eisengitter gehaltenes Glas gegen die Unbilden der Witterung und
übertrug es endlich im Jahre 1872 in das Innere der Kirche, wo es sich noch heute befindet. Dort ist
dieses schöne und ergreifende Werk an einem seiner Bedeutung sehr wenig entsprechenden Platze, zur
linken Hand vom Eingange über der zur Krypta führenden Tür, angebracht.
Fig. 14. Pietä in S. Sepolcro zu Mailand.
Maria hält in ihrem Schoi3e den Leichnam des Heilandes, über dessen Haupt sie sich beugt, wäh-
rend der Oberkörper aufrecht an ihren Knien lehnt. Die Arme Christi sind ausgestreckt und werden
von den zu Seiten knienden Johannes und Magdalena gehalten. Eine gewaltige Halle, in deren Hinter-
grunde Nikodemus und ein jüngerer Mann erscheinen, wölbt sich über den Gestalten, nach rückwärts
zu den Ausblick in eine nächtlich düstere Landschaft mit steil aufragenden Felsen freilassend.
Dieses Werk ist wie kein zweites Bramantinos von Zeitgenossen und Nachwelt bewundert wor-
den, weniger seines seelischen Gehaltes wegen als um eines perspektivischen Kunstgriffes willen : der
(nicht mehr erhaltene) Unterkörper Christi war nämlich in stärkster Verkürzung nach vorne ausgestreckt
und mit solch feiner Berechnung der Wirkung gegeben, da(3 der Beschauer, mochte er gerade davor
oder seitwärts stehen, immer den Eindruck erhielt, als seien die Beine geradeaus ihm zugewendet.
Dem Vasari wurde dies Werk Bramantinos gezeigt und er sagt in der Vita des Piero della Francesca:1
«Und ich habe in Mailand über dem Tore der Kirche S. Sepolcro einen toten Christus in der Verkür-
zung gezeichnet von Bramantino gesehen, in welchem er, obgleich die ganze Bildfläche nicht höher ist
1 Vasari, edizione 1550, p. 362.
23
Innern der Kirche angebracht ist (Fig. 14). Das Gemälde hat die grausamsten Verstümmelungen erfah-
ren. Bei einem Umbau des Kirchenportals im Jahre 1713 wurde es aus der Lünette, in die es gemalt war,
entfernt und erst nach Beendigung des Umbaues (1718) wieder dorthin gebracht. Doch muß es bei die-
ser Übertragung schon schwere Verletzungen erlitten haben; denn man sah sich veranlai3t, den unteren
besonders beschädigten Teil des Freskos zu entfernen. Nach dieser willkürlichen Verkleinerung
schützte man es durch ein von Eisengitter gehaltenes Glas gegen die Unbilden der Witterung und
übertrug es endlich im Jahre 1872 in das Innere der Kirche, wo es sich noch heute befindet. Dort ist
dieses schöne und ergreifende Werk an einem seiner Bedeutung sehr wenig entsprechenden Platze, zur
linken Hand vom Eingange über der zur Krypta führenden Tür, angebracht.
Fig. 14. Pietä in S. Sepolcro zu Mailand.
Maria hält in ihrem Schoi3e den Leichnam des Heilandes, über dessen Haupt sie sich beugt, wäh-
rend der Oberkörper aufrecht an ihren Knien lehnt. Die Arme Christi sind ausgestreckt und werden
von den zu Seiten knienden Johannes und Magdalena gehalten. Eine gewaltige Halle, in deren Hinter-
grunde Nikodemus und ein jüngerer Mann erscheinen, wölbt sich über den Gestalten, nach rückwärts
zu den Ausblick in eine nächtlich düstere Landschaft mit steil aufragenden Felsen freilassend.
Dieses Werk ist wie kein zweites Bramantinos von Zeitgenossen und Nachwelt bewundert wor-
den, weniger seines seelischen Gehaltes wegen als um eines perspektivischen Kunstgriffes willen : der
(nicht mehr erhaltene) Unterkörper Christi war nämlich in stärkster Verkürzung nach vorne ausgestreckt
und mit solch feiner Berechnung der Wirkung gegeben, da(3 der Beschauer, mochte er gerade davor
oder seitwärts stehen, immer den Eindruck erhielt, als seien die Beine geradeaus ihm zugewendet.
Dem Vasari wurde dies Werk Bramantinos gezeigt und er sagt in der Vita des Piero della Francesca:1
«Und ich habe in Mailand über dem Tore der Kirche S. Sepolcro einen toten Christus in der Verkür-
zung gezeichnet von Bramantino gesehen, in welchem er, obgleich die ganze Bildfläche nicht höher ist
1 Vasari, edizione 1550, p. 362.