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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 25.1905

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I. Theil: Abhandlungen
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Suida, Wilhelm: Die Jugendwerke des Bartolommeo Suardi genannt Bramantino
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https://doi.org/10.11588/diglit.5915#0035
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3o

Wilhelm Suida.

(ausgestellt im Saaje III) dargestellt (Fig. 20). Die Gewandbehandlung ist hier einfacher, der Typus
des Kopfes zeigt die nächste Beziehung zu Bramante, während in der Form der Hand sich Bramantinos
Stil verrät. Die von mir an anderer Stelle ausgesprochene Vermutung,1 es sei uns in diesem Blatte
eine Kopie Bramantinos nach einer Figur auf einem verloren gegangenen, jedoch aus der Beschrei-
bung Torres bekannten Bilde Bramantes erhalten, sei hier wiederholt. Drei Tafelbilder, so erzählt

Torre,2 von Bramante seien an
dem der Kirche S. Michele al Gallo
gegenüber befindlichen Hause an-
gebracht gewesen, darstellend:
Schmausende, die um einen ge-
deckten Tisch sitzen, zwei Richter,
die vom Throne durch eindringen-
des Volk herabgezerrt werden,
endlich eine auf rohgezimmerter
Bank sitzende Person in Unter-
haltung mit einem nebenstehen-
den Freunde. Ist es auch nur eine
Vermutung, so hat dieselbe doch
etwas Ansprechendes, wenn wir
bei dem ausgesprochen braman-
tesken Charakter der Ambrosiana-
zeichnung an die Möglichkeit den-
ken, Bartolommeo Suardi habe
diese Federskizze nach dem ihm
vor Augen stehenden Gemälde des
Lehrers gefertigt. Das Motiv des
auf der Zeichnung dargestellten
Mannes fände dadurch wenigstens
eine genügende Erklärung, welche
sonst nicht leicht zu geben wäre.
Oder könnten wir an einen Schrift-
gelehrten bei der Disputation des
zwölfjährigen Christus im Tempel
k. , JM^gf -Ä denken? Von einer solchen Dar-

I taP^' JHH Stellung Bramantes oder des ju-

gendlichen Bramantino haben wir
keine Kunde.

Wie es sich damit auch ver-
halten mag, sicher gehört die
Zeichnung der Ambrosiana in die frühe Zeit der Tätigkeit Bartolommeos, in die ersten Jahre seiner
Beziehung zu Bramante. Stilistisch augenscheinlich verwandt ist damit eine Tuschzeichnung auf
grauem Papier mit schwachen Andeutungen einer weißen Höhung im Lichte, die mit der Sammlung
des Herrn A. von Beckerath in das Berliner königl. Kupferstichkabinett kam (Fig. 21). Den darauf dar-
gestellten Jüngling mit gelocktem Haare, der in ein langes, schlicht gefaltetes Gewand gekleidet ist
und emsig in einem Buche schreibt, dürfen wir vielleicht Johannes auf Patmos nennen. Hat doch ent-

Fig. 20. Der «Angeklagte»
Mailand, Ambrosiana.

1 «Beiträge zur Kenntnis von Bramantes bildnerischer Tätigkeit»: Monatsberichte für Kunstwissenschaft und Kunst-
handel, München 1902.

2 Torre, Ritratto di Milano 1674, p. 250.
 
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