Die Jugendwerke des Bartolommeo Suardi, genannt Bramantino. 3 I
gegen der biblischen Tradition, der ein Giotto in der Capeila Peruzzi in S. Croce zu Florenz folgte,
Bramantino auch später in einem wundersam herrlichen Gemälde den Lieblingsapostel als Jüngling auf
einsamem Felseneilande die Eingebungen des göttlichen Geistes aufzeichnen lassen.
Eine prächtige Tuschzeichnung auf grauem Papier mit weißer Höhung, darstellend den Kopf
eines bartlosen alten Mannes en face im Museum zu Lille (photographiert von Braun unter Masaccios
Namen) ist von Seydlitz 1 dem Bramante zugeschrieben worden (Fig. 22). In der Tat ist die Beziehung
zu den mit dem Pinsel und im Ton von dem großen Urbinaten ausgeführten Idealköpfen (in casa
Silvestri und S. Satiro, Fig. 23—26) gar
nicht zu verkennen. Aber wieder begeg-
nen wir demselben Geiste, der die wuchti-
gen Formen des leidenden Heilands in
das Zartsensitive übertrug, dessen still in
sich gekehrter Seele jene wuchtige, nach
außen machtvoll sich betätigende Kraft
ferne lag. Einzelheiten, wie die spitze
Form des Ohres, die schmale Nase, die
wenig energische Muskulatur des Halses,
nicht zum letzten auch die Behandlung
des Haares, das Bramante immer in krau-
sen Ringellocken sich aufbäumen läßt,
weisen das auch technisch mit Braman-
tinos Zeichnungen übereinstimmende Blatt
diesem letzteren zu. Solche Werke erklä-
ren uns doch erst den Beinamen Suardis.
Wenige Jahre später hat unser Künstler
den mächtigen Greisenkopf zum alten
Könige auf dem Bilde der Sammlung
Layard verfeinert.
Die Erwähnung eines auf beiden
Seiten mit nackten Figuren bezeichneten
Blattes, ebenfalls im Museum zu Lille
(photographiert als Mantegna von Braun),
möchte ich hier nicht unterlassen. Augen-
scheinlich gehört dasselbe in Bramantes
Atelier, zeigt aber so unvollkommene Be- Fig. 21. Johannes auf Patmos.
herrschung der Anatomie, daß wir an Berlin, kgl. Kupferstichkabinet (Sammlung A. von Beckerath).
Bramante selbst nicht denken dürfen.
Sollte es dem Suardi zugeschrieben werden dürfen, wofür die eigentümliche Form der Hände aller-
dings zu sprechen scheint, so müßten wir es als einen sehr frühen Versuch ansehen. Ich führe das
Blatt daher nur mit aller Reserve in diesen Zusammenhang ein. Ein ebenfalls doppelseitig mit Figu-
ren, nackten Männern, bezeichnetes Blatt, in Maßen und Technik dem in Lille genau gleich, daher
wohl Fragment aus demselben Skizzenbuche, bewahrt die Uffiziensammlung.2
Hatten uns die genannten Zeichnungen in die Zeit versetzt, in der Bartolommeo als Gehilfe Bra-
mantes in dessen Atelier tätig zu denken ist, so führt uns ein Blatt der Ambrosiana 3 in die Nähe der
Pietä von S. Sepolcro. Es ist eine Rötelzeichnung auf braunem Papier, auf dem die Schattenpartien
1 Jahrbuch der königl. preußischen Kunstsammlungen 1887.
2 Ausgestellt, Nr. 1456 F.
3 Nicht ausgestellt, F. 245, Inf.-Nr. 44.
gegen der biblischen Tradition, der ein Giotto in der Capeila Peruzzi in S. Croce zu Florenz folgte,
Bramantino auch später in einem wundersam herrlichen Gemälde den Lieblingsapostel als Jüngling auf
einsamem Felseneilande die Eingebungen des göttlichen Geistes aufzeichnen lassen.
Eine prächtige Tuschzeichnung auf grauem Papier mit weißer Höhung, darstellend den Kopf
eines bartlosen alten Mannes en face im Museum zu Lille (photographiert von Braun unter Masaccios
Namen) ist von Seydlitz 1 dem Bramante zugeschrieben worden (Fig. 22). In der Tat ist die Beziehung
zu den mit dem Pinsel und im Ton von dem großen Urbinaten ausgeführten Idealköpfen (in casa
Silvestri und S. Satiro, Fig. 23—26) gar
nicht zu verkennen. Aber wieder begeg-
nen wir demselben Geiste, der die wuchti-
gen Formen des leidenden Heilands in
das Zartsensitive übertrug, dessen still in
sich gekehrter Seele jene wuchtige, nach
außen machtvoll sich betätigende Kraft
ferne lag. Einzelheiten, wie die spitze
Form des Ohres, die schmale Nase, die
wenig energische Muskulatur des Halses,
nicht zum letzten auch die Behandlung
des Haares, das Bramante immer in krau-
sen Ringellocken sich aufbäumen läßt,
weisen das auch technisch mit Braman-
tinos Zeichnungen übereinstimmende Blatt
diesem letzteren zu. Solche Werke erklä-
ren uns doch erst den Beinamen Suardis.
Wenige Jahre später hat unser Künstler
den mächtigen Greisenkopf zum alten
Könige auf dem Bilde der Sammlung
Layard verfeinert.
Die Erwähnung eines auf beiden
Seiten mit nackten Figuren bezeichneten
Blattes, ebenfalls im Museum zu Lille
(photographiert als Mantegna von Braun),
möchte ich hier nicht unterlassen. Augen-
scheinlich gehört dasselbe in Bramantes
Atelier, zeigt aber so unvollkommene Be- Fig. 21. Johannes auf Patmos.
herrschung der Anatomie, daß wir an Berlin, kgl. Kupferstichkabinet (Sammlung A. von Beckerath).
Bramante selbst nicht denken dürfen.
Sollte es dem Suardi zugeschrieben werden dürfen, wofür die eigentümliche Form der Hände aller-
dings zu sprechen scheint, so müßten wir es als einen sehr frühen Versuch ansehen. Ich führe das
Blatt daher nur mit aller Reserve in diesen Zusammenhang ein. Ein ebenfalls doppelseitig mit Figu-
ren, nackten Männern, bezeichnetes Blatt, in Maßen und Technik dem in Lille genau gleich, daher
wohl Fragment aus demselben Skizzenbuche, bewahrt die Uffiziensammlung.2
Hatten uns die genannten Zeichnungen in die Zeit versetzt, in der Bartolommeo als Gehilfe Bra-
mantes in dessen Atelier tätig zu denken ist, so führt uns ein Blatt der Ambrosiana 3 in die Nähe der
Pietä von S. Sepolcro. Es ist eine Rötelzeichnung auf braunem Papier, auf dem die Schattenpartien
1 Jahrbuch der königl. preußischen Kunstsammlungen 1887.
2 Ausgestellt, Nr. 1456 F.
3 Nicht ausgestellt, F. 245, Inf.-Nr. 44.