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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 25.1905

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I. Theil: Abhandlungen
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Suida, Wilhelm: Die Jugendwerke des Bartolommeo Suardi genannt Bramantino
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https://doi.org/10.11588/diglit.5915#0039
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Wilhelm Suida.

lung des leidenden Christus, um uns, zwar mit den Leidenswerkzeugen versehen, doch den trium-
phierenden Erlöser vor Augen zu stellen.

Fast scheint es uns, es habe das antike Ideal der Darstellung des Göttlichen unter dem Bilde voll-
endeter menschlicher Schönheit der Seele Bartolommeos damals vorgeschwebt, wenn wir unseren Blick
auf die herrliche Zeichnung der Akademie von Venedig1 lenken (Taf. V). Ein Greis, ähnlich dem Zeus
auf dem Kölner Bilde, ist vor der Erscheinung eines in jugendlicher Schönheit strahlenden Engels in
die Knie gesunken. Staunen und gläubige Ergebung drücken seine Mienen aus. Ist die Verkündi-
gung der wunderbaren Empfängnis Mariä an Josef hier dargestellt? Das ist mit Sicherheit nicht zu
sagen. Das Freie, Cinquecentistische in Bramantinos Formensprache wird besonders der Vergleich
mit einer ähnlichen Gruppe des vor Christus knieenden Thomas auf Butinones Bild im Museum von

Pavia2 deutlich machen (Fig. 29).

Waren auch die Archive stumm geblie-
ben, so haben uns doch die Werke Braman-
tinos genügende Nachricht über die ersten
dreißig Jahre seines Lebens und die erste
Periode seines Schaffens gegeben. Die Werke
der Bildhauer, vor allem Omodeos, mögen
die ersten bestimmenden Eindrücke für den
jungen Künstler gewesen sein. Das in den
vollendetsten Schöpfungen Omodeos, wie dem
reichen bildnerischen Schmucke der Colleoni-
Kapelle zu Bergamo, sich geltend machende
Element sanfter Empfindsamkeit, poetischen
Reizes fand in der Seele Bartolommeos rei-
chen Widerhall, der andererseits die herben
Züge des Bildhauers mildert, die ungestüme
Hast in Ruhe verwandelt. Wer der erste
direkte Lehrer Suardis in der Malerei gewesen
. Fig. 26. Bramante, Medaillonkopf im Baptisterium von S. Satiro, sein mag, läßt sich mit apodiktischer Gewiß-
Mailand. heit zwar nicht angeben, es sprechen aber

zahlreiche Einzelheiten dafür, daß es Bernar-
dino Butinone gewesen sein könnte. Daneben sind dem Lernbegierigen Werke ferraresischer Künstler
bekannt geworden und es weisen selbst in den frühesten uns bekannten Werken, der «Geburt Christi»
in Pavia und der «Anbetung des Christkindes» der Ambrosiana Einzelheiten schon auf Bramante hin.

Doch hat der immer die Selbständigkeit seiner künstlerischen Anschauung bewahrende Braman-
tino erst allmählich sich die überlegene Formensprache eines so durchaus anders gearteten, über-
gewaltigen Künstlers, wie es Bramante war, zu eigen gemacht und dieselbe sogleich frei umgewandelt.
Diese Stufe der Entwicklung wies uns das Kölner Bild «Zeus und Merkur bei Philemon und Baucis»,
wenn wir andererseits Zeichnungen der Ambrosiana und der Liller Sammlung als in Bramantes Atelier
ausgeführte Studien betrachten zu dürfen glaubten. Als eine freie Umwandlung von Bramantes
Christus in Chiaravalle erwies sich uns das Gemälde des Conte del Mayno; in den folgenden Werken,
wie der hochgerühmten Pietä von S. Sepolcro und den Lünetten in S. Maria delle Grazie, nähert sich
Bramantino langsam, aber mit bewußtem Streben der Lichtkunst Lionardos. Einige Zeichnungen,
zwei in der Ambrosiana, eine in Wien, und die herrliche «Engelserscheinung» in Venedig, das schönste
Blatt, das uns von Bramantinos Hand erhalten ist, ließen uns diese Stufe seiner Kunst noch genauer

1 Sala dei disegni, Nr. 173. Tuschzeichnung auf graubraunem Papier, weiß gehöht; Photographien von Braun
(Nr. 207).

2 Von mir als Werk Butinones nachgewiesen im Repertorium für Kunstwissenschaft 1902.
 
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