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Wilhelm Suida.
gehen vermochten, <ia die meisten das, worauf es ankam, die Lichtkunst, gar nicht aufnahmen sondern
nur die äußere schöne Form nachzubilden sich bemühten. In ganz anderem Sinne war, das haben wir
gesehen, Bramantino ein Schüler Lionardos geworden, nicht die Formen sondern nur die Prinzipien
der neuen Kunst erfassend. Und dies befähigte ihn als freien, wenn auch eigentümlichen und sonder-
baren Künstler, das große Vermächtnis auf die eigentlichen Vollender der lombardischen Kunst: Gau-
denzio Ferrari und Bernardino Luini, zu übertragen. Doch darüber soll noch später gehandelt wer-
den; hier sei nur auf diese Bedeutung der im folgenden Abschnitte zu behandelnden Zeit der Wirk-
samkeit Bramantinos für die Gesamtentwicklung der mailändischen Kunst hingewiesen.
Im Jahre 1503 erscheint Bramantino zuerst in
Dokumenten, und zwar wird er in den Büchern des
Domes am 23. Februar und am 22. Juni genannt.
Mit anderen Künstlern hatte er sein Gutachten ab-
zugeben über das Modell einer Tür des nördlichen
Kreuzarmes am Dome, welche dann zur Zeit des
S. Carlo Borromeo wieder vermauert wurde. Wohl
dürfte man daraus schließen, daß Suardi damals
auch schon eines gewissen Rufes als Architekt genoß.
Doch viel mehr finden wir ihn in jenen Jahren
als Maler und vorzugsweise als Freskomaler be-
schäftigt. Ist es auch bis jetzt noch nicht geglückt,
aus Dokumenten die sichere Datierung dieser Ar-
beiten zu gewinnen, so gibt uns doch die Stilkritik
hier die sichersten Anhaltspunkte. Lassen wir die
Werke wieder sprechen, da die Überlieferung stumm
bleibt.
I.
Da treten wir sogleich vor eine der reichsten
und herrlichsten Schöpfungen der mailändischen
Kunst, die großen Teppiche, die den Palast des
Fürsten Trivulzio schmücken. Auf denselben sind
die zwölf Monate dargestellt, in der Weise, daß zu
Seiten einer mittleren Figur (Personifikation des
betreffenden Monats mit charakteristischen Attri-
buten) immer Szenen aus dem Leben, die eben in
diese Jahreszeit passen, ihren Platz gefunden haben.
Fig. 28. Ausschreitender Mann. Über jeder Darstellung ist das Wappen des Mar-
Maiiand, Ambrosiana. schalls Gian Giacomo, die Mondscheibe und das den
Monat beherrschende Sternbild zu sehen. Die Länge
einer Seite der beinahe quadratischen Teppiche mißt 4^50 m bis zu 4-55 m. Die Innendarstellung ist
von einem breiten Rande eingefaßt, in welchem sich Wappen (bis zu 42 an der Zahl, oft weniger) be-
finden. Unter den letzteren begegnen wir neben den Wappen der Trivulzi (den grüngoldenen Pfählen
und dem Kreuz des heil. Andreas) dem der Colleoni von Bergamo mit den Buchstaben MÄ AR (Gian Gia-
como Trivulzio hatte im Jahre 1485 als erste Gemahlin Margherita Colleoni geheiratet), ferner dem der
Avalos aus Spanien mit den Buchstaben BE AR (im Jahre 1487 war Beatrice d'Inigo d'Avalos die zweite
Gemahlin Gian Giacomos geworden), endlich dem der Gonzagas aus Castiglione mit der Beischrift
PA VLA (die Gemahlin, welche Niccolö Trivulzio im Jahre 1501 heimführte, ist Paula Gonzaga). Ferner
kehrt das Motto Gian Giacomos: NETES MAI (non ti smarrire: Laß Dich nicht aus der Fassung brin-
gen, verlier' Dich nicht selbst) und die Inschrift: 10 • IA • TRIVS • MÄR VIGLI FRANC1E MARES • (Joannes
Wilhelm Suida.
gehen vermochten, <ia die meisten das, worauf es ankam, die Lichtkunst, gar nicht aufnahmen sondern
nur die äußere schöne Form nachzubilden sich bemühten. In ganz anderem Sinne war, das haben wir
gesehen, Bramantino ein Schüler Lionardos geworden, nicht die Formen sondern nur die Prinzipien
der neuen Kunst erfassend. Und dies befähigte ihn als freien, wenn auch eigentümlichen und sonder-
baren Künstler, das große Vermächtnis auf die eigentlichen Vollender der lombardischen Kunst: Gau-
denzio Ferrari und Bernardino Luini, zu übertragen. Doch darüber soll noch später gehandelt wer-
den; hier sei nur auf diese Bedeutung der im folgenden Abschnitte zu behandelnden Zeit der Wirk-
samkeit Bramantinos für die Gesamtentwicklung der mailändischen Kunst hingewiesen.
Im Jahre 1503 erscheint Bramantino zuerst in
Dokumenten, und zwar wird er in den Büchern des
Domes am 23. Februar und am 22. Juni genannt.
Mit anderen Künstlern hatte er sein Gutachten ab-
zugeben über das Modell einer Tür des nördlichen
Kreuzarmes am Dome, welche dann zur Zeit des
S. Carlo Borromeo wieder vermauert wurde. Wohl
dürfte man daraus schließen, daß Suardi damals
auch schon eines gewissen Rufes als Architekt genoß.
Doch viel mehr finden wir ihn in jenen Jahren
als Maler und vorzugsweise als Freskomaler be-
schäftigt. Ist es auch bis jetzt noch nicht geglückt,
aus Dokumenten die sichere Datierung dieser Ar-
beiten zu gewinnen, so gibt uns doch die Stilkritik
hier die sichersten Anhaltspunkte. Lassen wir die
Werke wieder sprechen, da die Überlieferung stumm
bleibt.
I.
Da treten wir sogleich vor eine der reichsten
und herrlichsten Schöpfungen der mailändischen
Kunst, die großen Teppiche, die den Palast des
Fürsten Trivulzio schmücken. Auf denselben sind
die zwölf Monate dargestellt, in der Weise, daß zu
Seiten einer mittleren Figur (Personifikation des
betreffenden Monats mit charakteristischen Attri-
buten) immer Szenen aus dem Leben, die eben in
diese Jahreszeit passen, ihren Platz gefunden haben.
Fig. 28. Ausschreitender Mann. Über jeder Darstellung ist das Wappen des Mar-
Maiiand, Ambrosiana. schalls Gian Giacomo, die Mondscheibe und das den
Monat beherrschende Sternbild zu sehen. Die Länge
einer Seite der beinahe quadratischen Teppiche mißt 4^50 m bis zu 4-55 m. Die Innendarstellung ist
von einem breiten Rande eingefaßt, in welchem sich Wappen (bis zu 42 an der Zahl, oft weniger) be-
finden. Unter den letzteren begegnen wir neben den Wappen der Trivulzi (den grüngoldenen Pfählen
und dem Kreuz des heil. Andreas) dem der Colleoni von Bergamo mit den Buchstaben MÄ AR (Gian Gia-
como Trivulzio hatte im Jahre 1485 als erste Gemahlin Margherita Colleoni geheiratet), ferner dem der
Avalos aus Spanien mit den Buchstaben BE AR (im Jahre 1487 war Beatrice d'Inigo d'Avalos die zweite
Gemahlin Gian Giacomos geworden), endlich dem der Gonzagas aus Castiglione mit der Beischrift
PA VLA (die Gemahlin, welche Niccolö Trivulzio im Jahre 1501 heimführte, ist Paula Gonzaga). Ferner
kehrt das Motto Gian Giacomos: NETES MAI (non ti smarrire: Laß Dich nicht aus der Fassung brin-
gen, verlier' Dich nicht selbst) und die Inschrift: 10 • IA • TRIVS • MÄR VIGLI FRANC1E MARES • (Joannes