Die Jugendwerke des Bartolommco Suardi, genannt Bramantino.
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ein fester Mittelpunkt gewonnen, um den die Szenen sich gruppieren, bisweilen nur lose um ihn herum
angeordnet, bisweilen zu einer einzigen Gruppe verschmolzen. Im letzteren Falle entsteht eine sozu-
sagen repräsentative Darstellung. Die Gestalten treten, die charakteristischen Attribute ihrer Tätigkeit
weisend, zu dem in ihrer Mitte thronenden oder erhobenen Herrscher; die Beschäftigungen und
Arbeiten finden sich nur im Hintergrunde angedeutet. Von dieser Art sind die Bilder des Januar,
April und Mai. Der Oktober erscheint
mit den ihn umgebenden Landleuten in
direktem Verkehre. Martius und Augus-
tus haben wenige Begleiter um sich ver-
sammelt, die gleichsam bei ihnen die
Wache halten, während seitwärts von
dieser Mittelgruppe verschiedenartige Be-
schäftigungen wiedergegeben sind. Noch
andere der Monatsbeherrscher stehen ein-
sam in der Mitte, sei es in Beziehung zu
ihrer Umgebung gesetzt, sei es auch von
den zu ihren Füi3en sich Tummelnden
kaum bemerkt. So zeigt also schon die
Art der Anordnung die größte Mannig-
faltigkeit. Ein Festhalten an symmetri-
schem Aufbau der Komposition macht
sich hier wie in den Werken der ersten
Periode allenthalben geltend.
Die Größe der Gestalten ist im Ver-
hältnisse zum Räume derartig gewählt,
daß die ganz im Vordergrunde stehen-
den Personen ungefähr die halbe Höhe
die Bildfläche erreichen. In diese Höhe,
ungefähr in den Schnittpunkt der Diago-
nalen des Viereckes, ist der Augenpunkt
verlegt. Daraus ergibt sich, daß die Köpfe
aller auf dem Boden aufrecht stehenden
Figuren in einer Horizontalen liegen und
der Boden nach dem Hintergrunde zu auf-
zusteigen scheint. Probleme der perspek-
tivischen Verkürzung werden nicht ver-
mieden sondern sogar aufgesucht und mit
großer Meisterschaft gelöst. Bei April
und Oktober sehen wir Gestalten, die auf dem Boden sitzen und deren Beine in schärfster Ver-
kürzung von vorne gesehen sind. Die auf dem Boden liegenden Ackergerätschaften auf dem Bilde des
Mai richtig zu zeichnen, erforderte schwierige perspektivische Konstruktionen. Der Blick, den uns der
Juli in die ländliche Dreschtenne eröffnet, zeigt uns Reihen Dreschender, einmal im Profil, das andere
Mal en face und vom Rücken gesehen. Die regelmäßige Verkleinerung mit der wachsenden Distanz
im Räume ließ sich an diesen in immer gleichen Entfernungen hintereinander stehenden Personen aufs
deutlichste demonstrieren.
Bezüglich der zahlreichen auf den Bildern vorkommenden architektonischen Formen verweise
ich einstweilen auf eine spätere zusammenfassende Betrachtung über Bramantino als Architekten. Die
ganz nahe Verwandtschaft derartiger Gebilde mit solchen, die wir auf den bisher betrachteten Werken
fanden, springt dem oberflächlichsten Beobachter ins Auge.
6*
Fig. 3o. Vermählung Marias, Intarsia.
Bergamo, S. Bartolommeo.
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ein fester Mittelpunkt gewonnen, um den die Szenen sich gruppieren, bisweilen nur lose um ihn herum
angeordnet, bisweilen zu einer einzigen Gruppe verschmolzen. Im letzteren Falle entsteht eine sozu-
sagen repräsentative Darstellung. Die Gestalten treten, die charakteristischen Attribute ihrer Tätigkeit
weisend, zu dem in ihrer Mitte thronenden oder erhobenen Herrscher; die Beschäftigungen und
Arbeiten finden sich nur im Hintergrunde angedeutet. Von dieser Art sind die Bilder des Januar,
April und Mai. Der Oktober erscheint
mit den ihn umgebenden Landleuten in
direktem Verkehre. Martius und Augus-
tus haben wenige Begleiter um sich ver-
sammelt, die gleichsam bei ihnen die
Wache halten, während seitwärts von
dieser Mittelgruppe verschiedenartige Be-
schäftigungen wiedergegeben sind. Noch
andere der Monatsbeherrscher stehen ein-
sam in der Mitte, sei es in Beziehung zu
ihrer Umgebung gesetzt, sei es auch von
den zu ihren Füi3en sich Tummelnden
kaum bemerkt. So zeigt also schon die
Art der Anordnung die größte Mannig-
faltigkeit. Ein Festhalten an symmetri-
schem Aufbau der Komposition macht
sich hier wie in den Werken der ersten
Periode allenthalben geltend.
Die Größe der Gestalten ist im Ver-
hältnisse zum Räume derartig gewählt,
daß die ganz im Vordergrunde stehen-
den Personen ungefähr die halbe Höhe
die Bildfläche erreichen. In diese Höhe,
ungefähr in den Schnittpunkt der Diago-
nalen des Viereckes, ist der Augenpunkt
verlegt. Daraus ergibt sich, daß die Köpfe
aller auf dem Boden aufrecht stehenden
Figuren in einer Horizontalen liegen und
der Boden nach dem Hintergrunde zu auf-
zusteigen scheint. Probleme der perspek-
tivischen Verkürzung werden nicht ver-
mieden sondern sogar aufgesucht und mit
großer Meisterschaft gelöst. Bei April
und Oktober sehen wir Gestalten, die auf dem Boden sitzen und deren Beine in schärfster Ver-
kürzung von vorne gesehen sind. Die auf dem Boden liegenden Ackergerätschaften auf dem Bilde des
Mai richtig zu zeichnen, erforderte schwierige perspektivische Konstruktionen. Der Blick, den uns der
Juli in die ländliche Dreschtenne eröffnet, zeigt uns Reihen Dreschender, einmal im Profil, das andere
Mal en face und vom Rücken gesehen. Die regelmäßige Verkleinerung mit der wachsenden Distanz
im Räume ließ sich an diesen in immer gleichen Entfernungen hintereinander stehenden Personen aufs
deutlichste demonstrieren.
Bezüglich der zahlreichen auf den Bildern vorkommenden architektonischen Formen verweise
ich einstweilen auf eine spätere zusammenfassende Betrachtung über Bramantino als Architekten. Die
ganz nahe Verwandtschaft derartiger Gebilde mit solchen, die wir auf den bisher betrachteten Werken
fanden, springt dem oberflächlichsten Beobachter ins Auge.
6*
Fig. 3o. Vermählung Marias, Intarsia.
Bergamo, S. Bartolommeo.