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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 25.1905

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I. Theil: Abhandlungen
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Suida, Wilhelm: Die Jugendwerke des Bartolommeo Suardi genannt Bramantino
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https://doi.org/10.11588/diglit.5915#0059
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Wilhelm Suida.

Doch hat die'letztere Annahme von vorneherein mehr Wahrscheinlichkeit für sich. Daß Braman-
tino dann nicht die ganze Folge ausführte, hatte seinen Grund, wie wir vermuten, in seinem Weg-
gange von Mailand und der Reise nach Rom. Denn die «Gefangennahme Christi» (Fig. 37) ist sicher
später als die Dominikuslegende, wohl kurz vor dem Jahre 1508 (in welchem Bramantino in Rom er-
scheint) entstanden. Im Vordergrunde ist eine Gruppe von Menschen, von den meisten nur mehr die
Köpfe, zu sehen, die aus einer Halle heraustreten, — es sind vielleicht die Priester und Ältesten der
Juden, welche dem Judas soeben dreißig Silberlinge eingehändigt haben, damit er den Herrn verrate.

Denn die Anhöhe, die sich nach dem Hinter-
grunde zu erhebt, eilt der ungetreue Jünger mit
einigen Kriegsknechten hinan, um Christum, der
im Gebete versunken ist, und die schlafenden
Apostel zu überraschen. Wieder hat Braman-
tino hier sich die Aufgabe gestellt, eine ganze
Handlung in einem Bilde zu geben. Und hier
endlich hat er die Lösung gefunden: er will
die Gefangennahme Christi geben, wählt aber
den Moment, wo sich die höchste Spannung erst
vorbereitet. So ist der Meister in stetem Sinnen
über die Gesetze seiner Kunst bemüht, alle
Zweifel, die sich ergeben, zu beseitigen, Wider-
sprüche, die in Jugendwerken, wie dem Kölner
Bilde, noch nicht bezwungen sind, einer har-
monischen Lösung zuzuführen. Denn Braman-
tino gehörte zu jenen Künstlern, in deren Wer-
ken gar nichts zufällig, vielmehr jeder Pinsel-
strich durchdacht und mit größter Besonnenheit
geführt ist. Darin liegt es zum großen Teile be-
gründet, daß seine Werke auf denjenigen, der
sich genau und liebevoll mit ihnen beschäftigt,
einen so überaus großen Zauber ausüben, darin
aber auch, daß die Darstellung eines Affektes,
einer Leidenschaft, von kühlster Besonnenheit

sogleich gedämpft, oft ihrer unmittelbaren Wir-
Fis. 3o. Schüler Bramantinos, Der heil. Martin. .

kung aui die Seele des Beschauenden verlustig

Mailand, Sammlung des Conte Cesare del Mayno.

geht. Jedes der Werke unseres Bramantino
gäbe, wollte man darauf eingehen, zu den weitgehendsten psychologischen Betrachtungen Anlaß —
indes wir beschränken uns auf wenige verstreute Bemerkungen, die für das Verständnis der Schöpfun-
gen von Wichtigkeit sein können.

So viel uns auch die in diesem Kapitel bisher betrachteten Schöpfungen über ihren Meister lehr-
ten, so viel Genuß sie uns bereiteten, so reichlich sie unsere Phantasie anregten, es mag doch als eine
Art Befreiung erscheinen, wenn wir zum Schlüsse unser Auge noch auf drei Werke lenken, die, wohl-
erhalten und ganz eigenhändig ausgeführt, uns ungetrübt des Meisters Kunst zu Gemüte führen, ohne
daß wir es nötig hätten, erst von allen möglichen äußeren Umständen zu abstrahieren.

Diese drei Fresken, ursprünglich an verschiedenen Orten angebracht, sind jetzt in der Galerie
der Brera vereinigt. Von ihnen'ist das zeitlich wohl am frühesten entstandene die herrliche Halb-
figur des heil. Martin l, der mit dem Schwerte seinen Purpurmantel teilt, um den Bettler zu kleiden

1 Brera, Nr. 9, Halbfiguren, Fresko, 80 cm hoch, 97 cm breit, wurde im Jahre 1814 aus dem Monastero delleVetere
in Mailand in die Brera übertragen.
 
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