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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 25.1905

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I. Theil: Abhandlungen
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Suida, Wilhelm: Die Jugendwerke des Bartolommeo Suardi genannt Bramantino
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https://doi.org/10.11588/diglit.5915#0060
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Die Jugendwerke des Bartolommeo Suardi, genannt Bramantino.

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(Fig. 38). Die Gestalt dieses jugendlichen Kriegers, dessen sanft geneigtes Haupt von blondem Haare
umrahmt und von lichtem Glorienscheine umflossen ist, scheint ganz von dem Gebote christlicher
Liebe erfüllt: «Die Rechte weiß nicht, was die Linke tut.» Überaus schön und ausdrucksvoll ist auch
die Wahl der Farben. Ist die Brust des
jungen Ritters von schimmernd weißem
Panzer umschlossen, unter dem an Ärmeln
und Hals das gelbe Wams sichtbar wird,
so umschließt, einem Strome der alles ver-
einigenden Liebe vergleichbar, der dunkel-
rote Mantel den Heiligen und den Bettler.

Ob das Fresko ursprünglich schon
diese Gestalt hatte oder bei der Ablösung
von der Wand erst einen unteren etwa stark
beschädigten Teil verlor, dürfte schwer zu
entscheiden sein. Scheint doch die Gruppe
in den jetzigen Rahmen hineinkomponiert
zu sein, da sie sich genau einem gleich-
schenkeligen Dreiecke einfügen läßt. Doch
wäre es wohl möglich, daß ursprünglich
der Heilige stehend, der Bettler knieend
dargestellt war, ähnlich wie auf einem klei-
nen Gemälde im Besitze des Conte Cesare
del Mayno zu Mailand, das unter Braman-
tinos Augen von einem an seine Kunst sich
eng anschließenden Schüler gefertigt wurde
(Fig. 3g).1 Wie dem auch sein mag, in
dem heil. Martin ist uns eine der lieblich-
sten Schöpfungen unseres vornehmen und
poetischen Künstlers erhalten. Die Ent-
stehungszeit dürfte in den ersten Jahren des
XVI. Jahrhunderts, nur wenig später als die
«Anbetung der heil, drei Könige» anzu-
setzen sein.

Um weniges später, kurz vor 1508,
entstand dann das große Fresko, welches
heute in der Brera unmittelbar neben dem
heil. Martin aufgestellt ist.2 Auf einem mit
ornamentiertem Sockel versehenen steiner-
nen Throne erblicken wir die Madonna,
eine volle jugendliche Frau, die das ganz
unbekleidete Christkind auf dem Schöße
hält. Hell und leuchtend vor Mutterfreude

erglänzen die Augen des jugendlichen Weibes; kaum scheint sie zu bemerken, daß ernst und stumm
zwei Engel seitwärts herangetreten sind, der eine die Hände über der Brust kreuzend, der andere in
dunklem olivenfarbigen Gewände mit der Hand auf das Christkind deutend und eine Tafel mit den

Fig. 40.

Madonna mit Engeln.
Mailand, Brera.

1 Wir werden später auf diesen Künstler zurückkommen.

2 Brera, Nr. 4, Fresko, 2-58 m hoch, 1-33 m breit. Befand sich ursprünglich im alten Rathause (Palazzo del Bro-
letto), jetzt Archivio Notarile auf der Piazza Mercanti zu Mailand.
 
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