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Gustav Glück.
kende von einem Satyrweibchen, das ihn unter der rechten Schulter gefaßt hat, und von einem Satyr,
der ihn auf der andern Seite an seinem fetten Bauchwanst packt. Hinter dieser Gruppe sieht man in
flachem Relief einen Satyr, der in ein gewundenes Horn bläst, und einen zweiten, der eine Schale mit
Wein zum Munde führt. Dem derb gebildeten Satyrweibchen, zu dessen Füssen ein Trauben essen-
des Knäblein liegt, folgt die viel edlere Gestalt einer Mänade, die mit der Rechten Kastagnetten
schlägt und mit der Linken einen pissenden Knaben an der Hand führt. Dieser schönen Mänade nähert
sich mit tierisch-sinnlichem Ausdrucke ein Satyr, dessen wildem Liebesbedürfnis das Weibchen seines
Stammes, das er umfaßt hält, nicht zu genügen scheint und der die Mänade mit einer Liebkosung be-
droht, die sonst nur Hunde ihrem menschlichen Gebieter zuteil werden lassen.
Wenn auch von Rubens' erhaltenen Skizzen oder Zeichnungen keine genau die gleiche Kompo-
sition zeigt wie das Relief des Gefäßmantels, so lassen sich doch die meisten Motive auf verschiedenen
Ölgemälden des Meisters nachweisen: die Hauptgruppe des Silen mit dem Satyrweibchen findet sich
in ganz verwandter Ausführung in der geistvollen Skizze der Petersburger Eremitage verwendet; der
aus der Schale trinkende Satyr begegnet, ähnlich wie hier von dem Kopfe des Satyrs, dort von dem
eines Mohren überschnitten, in dem Ölgemälde der Berliner Galerie (veränderte Wiederholungen
in der Münchener Pinakothek und in der Kasseler Galerie). Auf demselben Bilde sehen wir auch die
Gruppe der Mänade mit dem pissenden Kinde und des sie bedrohenden Satyrs mit seinem Weib-
chen im Gegensinne unserer Darstellung und mit dem Unterschiede, daß auf dem Berliner Bilde die
Mänade statt der Kastagnetten das Tamburin schlägt (Fig. 3). Auch hier ist das drastische Motiv
verwendet, daß der trunkene Silen an seinem dicken, schwammigen Fleische gefaßt wird. Endlich
findet sich der Kopf des zudringlichen Satyrs sehr ähnlich wieder auf einem Bilde der Kasseler Galerie,
das Dianas Aufbruch zur Jagd vorstellt (Wiederholung bei Sir Baring in London).
Der Name des Mechelner Elfenbeinschnitzers, Bildhauers und Architekten Lucas Faidherbe
(1617—1697), der in den Jahren 1637—1640 in Rubens' Hause wohnte und nach dessen Entwürfen in
Elfenbein und Marmor arbeitete, ist wiederholt vor diesem prächtigen Gefäße genannt worden.1 Diese
Vermutung, die sich nur auf die allgemeine Verwandtschaft mit Rubens' Stile und die Vorzüglichkeit der
Ausführung gründete, erhält eine neue Stütze durch den Nachweis, daß das Deckelfigürchen, wie wir
gesehen haben, nach einer Zeichnung von Rubens gearbeitet ist. Die Zeichnung der Albertina gehört dem
Stile nach in die letzten Jahre von Rubens' Tätigkeit. Wer anders als Lucas Faidherbe sollte damals
nach Rubens' Entwürfen in Elfenbein geschnitzt haben? Unwillkürlich denkt man an die reizende Stelle
aus einem Briefe Rubens' an den dreiundzwanzigjährigen Bildhauer, die beweist, welch aufrichtiger und
väterlicher Freundschaft der edle und immer neidlose Meister seinen Schülern gegenüber fähig war.
«Ich habe mit Vergnügen gehört», schreibt Rubens am 9. Mai 1640, um dem jungen Künstler zu seiner
Hochzeit Glück zu wünschen, «daß Ihr am Maientage in Eurer Allerliebsten Hause den Maibaum ge-
pflanzt habt. Ich hoffe, daß er wachsen und gedeihen und zu seiner Zeit Früchte zeitigen wird. Ich
und meine Frau samt meinen beiden Söhnen wünschen Euch und Eurer Liebsten aus ganzem Herzen
alles Glück und volle dauernde Zufriedenheit im Ehestande. Das Kindchen aus Elfenbein hat
keine Eile; Ihr habt ja jetzt ein ander Kinderwerk von größerer Wichtigkeit unter
den Händen. Doch soll Euer Besuch uns jederzeit willkommen sein.» Offenbar hatte Faidherbe in
Rubens' Auftrage und, wir möchten wohl glauben, nach dessen Entwürfe ein Elfenbeinfigürchen zu
schnitzen übernommen und wollte es persönlich aus Mecheln, wo er seit seinem im April erfolgten Aus-
tritte aus Rubens' Werkstatt wieder ansässig war, seinem großen Lehrer nach Antwerpen überbringen.
Es entspricht durchaus Rubens' feinem Gefühle, daß er den jungen Ehemann in den Flitterwochen
nicht stören will und deshalb auf den baldigen Empfang des Figürchens verzichtet. Sollte nun dieses
Kindchen aus Elfenbein nicht identisch sein mit unserem Bacchusknäblein, zu dem wir so glücklich
sind, den Entwurf von Rubens' Hand zu besitzen ?
1 Vgl. J. v. Schlosser, Album ausgewählter Gegenstände der kunstindustriellen Sammlung des Allerh. Kaiserhauses,
Wien 1901, S. 28.
Gustav Glück.
kende von einem Satyrweibchen, das ihn unter der rechten Schulter gefaßt hat, und von einem Satyr,
der ihn auf der andern Seite an seinem fetten Bauchwanst packt. Hinter dieser Gruppe sieht man in
flachem Relief einen Satyr, der in ein gewundenes Horn bläst, und einen zweiten, der eine Schale mit
Wein zum Munde führt. Dem derb gebildeten Satyrweibchen, zu dessen Füssen ein Trauben essen-
des Knäblein liegt, folgt die viel edlere Gestalt einer Mänade, die mit der Rechten Kastagnetten
schlägt und mit der Linken einen pissenden Knaben an der Hand führt. Dieser schönen Mänade nähert
sich mit tierisch-sinnlichem Ausdrucke ein Satyr, dessen wildem Liebesbedürfnis das Weibchen seines
Stammes, das er umfaßt hält, nicht zu genügen scheint und der die Mänade mit einer Liebkosung be-
droht, die sonst nur Hunde ihrem menschlichen Gebieter zuteil werden lassen.
Wenn auch von Rubens' erhaltenen Skizzen oder Zeichnungen keine genau die gleiche Kompo-
sition zeigt wie das Relief des Gefäßmantels, so lassen sich doch die meisten Motive auf verschiedenen
Ölgemälden des Meisters nachweisen: die Hauptgruppe des Silen mit dem Satyrweibchen findet sich
in ganz verwandter Ausführung in der geistvollen Skizze der Petersburger Eremitage verwendet; der
aus der Schale trinkende Satyr begegnet, ähnlich wie hier von dem Kopfe des Satyrs, dort von dem
eines Mohren überschnitten, in dem Ölgemälde der Berliner Galerie (veränderte Wiederholungen
in der Münchener Pinakothek und in der Kasseler Galerie). Auf demselben Bilde sehen wir auch die
Gruppe der Mänade mit dem pissenden Kinde und des sie bedrohenden Satyrs mit seinem Weib-
chen im Gegensinne unserer Darstellung und mit dem Unterschiede, daß auf dem Berliner Bilde die
Mänade statt der Kastagnetten das Tamburin schlägt (Fig. 3). Auch hier ist das drastische Motiv
verwendet, daß der trunkene Silen an seinem dicken, schwammigen Fleische gefaßt wird. Endlich
findet sich der Kopf des zudringlichen Satyrs sehr ähnlich wieder auf einem Bilde der Kasseler Galerie,
das Dianas Aufbruch zur Jagd vorstellt (Wiederholung bei Sir Baring in London).
Der Name des Mechelner Elfenbeinschnitzers, Bildhauers und Architekten Lucas Faidherbe
(1617—1697), der in den Jahren 1637—1640 in Rubens' Hause wohnte und nach dessen Entwürfen in
Elfenbein und Marmor arbeitete, ist wiederholt vor diesem prächtigen Gefäße genannt worden.1 Diese
Vermutung, die sich nur auf die allgemeine Verwandtschaft mit Rubens' Stile und die Vorzüglichkeit der
Ausführung gründete, erhält eine neue Stütze durch den Nachweis, daß das Deckelfigürchen, wie wir
gesehen haben, nach einer Zeichnung von Rubens gearbeitet ist. Die Zeichnung der Albertina gehört dem
Stile nach in die letzten Jahre von Rubens' Tätigkeit. Wer anders als Lucas Faidherbe sollte damals
nach Rubens' Entwürfen in Elfenbein geschnitzt haben? Unwillkürlich denkt man an die reizende Stelle
aus einem Briefe Rubens' an den dreiundzwanzigjährigen Bildhauer, die beweist, welch aufrichtiger und
väterlicher Freundschaft der edle und immer neidlose Meister seinen Schülern gegenüber fähig war.
«Ich habe mit Vergnügen gehört», schreibt Rubens am 9. Mai 1640, um dem jungen Künstler zu seiner
Hochzeit Glück zu wünschen, «daß Ihr am Maientage in Eurer Allerliebsten Hause den Maibaum ge-
pflanzt habt. Ich hoffe, daß er wachsen und gedeihen und zu seiner Zeit Früchte zeitigen wird. Ich
und meine Frau samt meinen beiden Söhnen wünschen Euch und Eurer Liebsten aus ganzem Herzen
alles Glück und volle dauernde Zufriedenheit im Ehestande. Das Kindchen aus Elfenbein hat
keine Eile; Ihr habt ja jetzt ein ander Kinderwerk von größerer Wichtigkeit unter
den Händen. Doch soll Euer Besuch uns jederzeit willkommen sein.» Offenbar hatte Faidherbe in
Rubens' Auftrage und, wir möchten wohl glauben, nach dessen Entwürfe ein Elfenbeinfigürchen zu
schnitzen übernommen und wollte es persönlich aus Mecheln, wo er seit seinem im April erfolgten Aus-
tritte aus Rubens' Werkstatt wieder ansässig war, seinem großen Lehrer nach Antwerpen überbringen.
Es entspricht durchaus Rubens' feinem Gefühle, daß er den jungen Ehemann in den Flitterwochen
nicht stören will und deshalb auf den baldigen Empfang des Figürchens verzichtet. Sollte nun dieses
Kindchen aus Elfenbein nicht identisch sein mit unserem Bacchusknäblein, zu dem wir so glücklich
sind, den Entwurf von Rubens' Hand zu besitzen ?
1 Vgl. J. v. Schlosser, Album ausgewählter Gegenstände der kunstindustriellen Sammlung des Allerh. Kaiserhauses,
Wien 1901, S. 28.