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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 25.1905

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I. Theil: Abhandlungen
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Meder, Joseph: Zwei Kartonzeichnungen Giulio Romanos
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https://doi.org/10.11588/diglit.5915#0086
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Zwei Kartonzeichnungen Giulio Romanos.

öl

Eine genaue Nebeneinanderstellung dieser beiden Zeichnungen (Fig. i) bestätigte die Vermu-
tung, daß beide Blätter zusammengehören und Teile eines und desselben Kartons sein müssen. Nicht
nur die Kopfgröße, die Technik, die Komposition stimmten überein, sondern beide Blätter ergänzten
mit einemmale auch jene Teile, welche anfangs zu fehlen schienen, wie z. B. die linke Schulter der
Madonna. Selbst die Ränder der einzelnen zusammengeklebten Bogen paßten gegenseitig wieder an-
einander, so wie einst vor dem trennenden Schnitt der Schere. Als Komposition betrachtet, gehörten
beide zu einer heil. Familie oder zu einer Anbetung des Jesukindes; denn Josef sieht aufmerksam über
die Schulter der in Andacht versunkenen Jungfrau.

Damit war die weitere Schlußfolgerung gegeben, daß diese zwei zusammengehörigen Teile aus
einem großen Gemäldekarton stammen mußten, dessen Aufbewahrung eben wegen seiner Größe
Schwierigkeiten verursachte, so daß einer der früheren Besitzer ohne viel Umstände sich die beiden
Kopfe als das für ihn Interessanteste herausgeschnitten habe. Durch wiederholten Verkauf kamen
sie schließlich ganz auseinander.

Derartige Beispiele begegnen uns häufig in Kunstsammlungen, indem wir einzelne Köpfe, selbst
gut gezeichnete Hände oder Füße auf Kartonpapier finden, die ohne viel Federlesens aus einer großflächi-
gen Komposition herausgeschnitten erscheinen. Die Schwierigkeit der Aufbewahrung ist und war auch
die häufigste Ursache, daß sich heute verhältnismäßig wenig vollständige Kartons erhalten haben. Ein-
mal bedurfte die dünne und dabei oft aus vielen Bogen zusammengeklebte Fläche, um nicht schadhaft
zu werden, einer Verstärkung durch unterklebte Bogen oder gar einer Unterspannung mit Leinwand,
und wollte man die empfindliche Oberfläche gegen Verstaubung und rohe Eingriffe schützen, so war
sogar Glas und Rahmen am Platze. Beide Maßnahmen erforderten aber nicht bloß Opfer an Geld und
Mühe sondern auch viel Raum, um sie unterzubringen; und diese Opfer scheinen nicht immer in dem
Verhältnisse zu dem Werte der einzelnen Kartonzeichnungen gestanden zu haben.

Häufig ereignete es sich auch, dass die Kartons schon unter der Hand des Künstlers beim Über-
tragen der Komposition auf die Wandtafel oder auf die Leinwand großen Schaden erlitten. Bei Vor-
zeichnungen für Fresken geschah es fast regelmäßig, daß das Papier, auf der feuchten Kalkschichte lie-
gend, die kräftige Führung des Elfenbeingriffels1 längs der Hauptkonturen nicht vertrug, leicht zerriß
und infolge dessen, sobald es eben seine Dienste getan hatte, dann ohneweiters als überflüssiger Ballast
weggeworfen wurde. Dabei konnte es gleichfalls vorkommen, daß ein Verehrer des Künstlers sich noch
gut erhaltene Köpfe herausschnitt und aufbewahrte. War es aber Brauch, die Konturen des Kartons
mit großen Nadeln zu durchlöchern, — und dies fand bei Tafel- und Leinwandbildern statt — damit
das Kohlenpulver durchgestaubt werden konnte, so wurde auch hier das Papier bedeutend mitge-
nommen. Man nannte diese Art der Bause Spolverizzare und das Beutelchen mit dem Kohlenstaube
Spolvero. 2 Das harmloseste und für die Zeichnung am wenigsten gefährliche Verfahren war die Bau-
sierung mit dem Netze (con la rete, la qual'e una graticola di quadri piecoli), welche gewiß auch bei
dem Karton, dem unsere beiden Köpfe entstammen, angewendet wurde. Fast alle Kartonzeichnungen
des Fra Bartolommeo — und von ihm haben wir wohl die meisten erhalten — beweisen die Anwendung
der letztgenannten Technik und es ist bezeichnend, daß sie alle für Tafelbilder und nicht für Fresko-
gemälde bestimmt waren.

Bei diesen hier dargelegten Ursachen der häufigen Zerstörung von Hilfszeichnungen, wenn
wir einen entsprechenden deutschen Ausdruck für Kartons einsetzen wollen, und bei der verhältnis-
mäßig großen Seltenheit derselben freuen wir uns daher heute wirklich, wenn für ein altes Gemälde
zufällig wieder eine echte Kartonzeichnung auftaucht, welche uns wie ein Zeitgenosse vergangener
Tage etwas über die Entstehung eines Kunstwerkes zu berichten weiß. Ganz so liegt der Fall bei
unseren beiden Kartonköpfen, welche unter falschen Namen Jahrhunderte lang herumirrten und nun

1 Baldinucci, Vocabulario Toscano, p. 3o, Cartoni: Di poi aecomodano essi cartoni sopra la tavola o muro, dove la
pittura devc farsi, calcando i dintorni sopra la mestica, o intonaco, con istile d' avorio o legno duro, cui cede la calcina.

2 Baldinucci, a. a. O.: E questo dicono spolverizzare et chiamano spolvero lo strumento, che adoperano per introdurre
la polvere.

XXV. I I
 
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