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Axel L. Romdahl.
Fig. 6. Aus der Folge der radierten Dorflandschaften
aus dem Jahre 155g.
Pieter Brueghel d. Ä. als Erzähler.
Die Aufmerksamkeit und die Bewunderung, die Pieter Brueghel d. A. von Mit- und Nachwelt zu-
teil geworden ist, galten immer in hohem Maße dem trefflichen Erzähler. Karel van Mander sagt,
man könne die meisten seiner Darstellungen nicht ohne Lachen ansehen. Wir Modernen schätzen
freilich nicht weniger sondern fast noch mehr die ergreifende Wahrheit, mit der er die bitterste Not
und Tragik des Lebens zu schildern verstand, und unser Interesse wurde außerdem durch den kultur-
geschichtlichen Wert seiner Bilder gesteigert. Oft ist es wohl der letztere, der die erzählende Ma-
lerei der Primitiven unserer Zeit so liebenswert erscheinen läßt, während sie fast alle Handlung aus
ihrer eigenen Kunst verbannte und nur Stimmungen gelten läßt. Wie verhält es sich denn eigentlich,
hat die Erzählung etwas in der bildenden Kunst zu schaffen, kann sie derselben förderlich sein oder
nicht? Ihre gänzliche Verwerfung ist nur eine Reaktion gegen die übertriebene Ansicht, der Gegen-
stand an sich mache ein Kunstwerk aus. Aber sobald man es sich nicht an dem äußeren Beisammen-
sein einer Anzahl Menschen genügen läßt, muß etwas im Bilde geschehen. Die Erzählung braucht
deshalb nicht zu dominieren, sie kann sich nach erfülltem Auftrage bescheiden zurückziehen, während
wir uns an dem eingeflößten Leben freuen. Wenn also die Erzählung ein lebenbringendes Element
in der Kunst ist, wird das Erzählen besonders bei den Primitiven eine Künstlertugend. Denn genötigt
dazu war man durchaus nicht, obwohl man vorwiegend Ereignisse aus der Bibel und den Legenden
darzustellen hatte. Dieselbe Szene, z. B. die Grablegung, konnte ja ebensogut lyrisch-elegisch wie
dramatisch behandelt werden. Jede dieser Arten hat ihre Vorzüge, die zweite regt aber mehr zur
Entwicklung an.
Schon bei dem Gestalten eines gegebenen Themas spielt also die Phantasie eine wichtige Rolle
und noch mehr wird sie auf die Probe gestellt, wenn der Künstler selbst, von Überlieferung und Vor-
schriften ungebunden, den Gegenstand wählen darf. Eine doppelte Tätigkeit der Phantasie ist ihm
nötig: die literarische und die speziell künstlerische. Jene soll sich auf die prägnante Zuspitzung und
die folgerichtige Ausbildung der eigentlichen Fabel richten, diese auf das Auswählen solcher Hand-
Axel L. Romdahl.
Fig. 6. Aus der Folge der radierten Dorflandschaften
aus dem Jahre 155g.
Pieter Brueghel d. Ä. als Erzähler.
Die Aufmerksamkeit und die Bewunderung, die Pieter Brueghel d. A. von Mit- und Nachwelt zu-
teil geworden ist, galten immer in hohem Maße dem trefflichen Erzähler. Karel van Mander sagt,
man könne die meisten seiner Darstellungen nicht ohne Lachen ansehen. Wir Modernen schätzen
freilich nicht weniger sondern fast noch mehr die ergreifende Wahrheit, mit der er die bitterste Not
und Tragik des Lebens zu schildern verstand, und unser Interesse wurde außerdem durch den kultur-
geschichtlichen Wert seiner Bilder gesteigert. Oft ist es wohl der letztere, der die erzählende Ma-
lerei der Primitiven unserer Zeit so liebenswert erscheinen läßt, während sie fast alle Handlung aus
ihrer eigenen Kunst verbannte und nur Stimmungen gelten läßt. Wie verhält es sich denn eigentlich,
hat die Erzählung etwas in der bildenden Kunst zu schaffen, kann sie derselben förderlich sein oder
nicht? Ihre gänzliche Verwerfung ist nur eine Reaktion gegen die übertriebene Ansicht, der Gegen-
stand an sich mache ein Kunstwerk aus. Aber sobald man es sich nicht an dem äußeren Beisammen-
sein einer Anzahl Menschen genügen läßt, muß etwas im Bilde geschehen. Die Erzählung braucht
deshalb nicht zu dominieren, sie kann sich nach erfülltem Auftrage bescheiden zurückziehen, während
wir uns an dem eingeflößten Leben freuen. Wenn also die Erzählung ein lebenbringendes Element
in der Kunst ist, wird das Erzählen besonders bei den Primitiven eine Künstlertugend. Denn genötigt
dazu war man durchaus nicht, obwohl man vorwiegend Ereignisse aus der Bibel und den Legenden
darzustellen hatte. Dieselbe Szene, z. B. die Grablegung, konnte ja ebensogut lyrisch-elegisch wie
dramatisch behandelt werden. Jede dieser Arten hat ihre Vorzüge, die zweite regt aber mehr zur
Entwicklung an.
Schon bei dem Gestalten eines gegebenen Themas spielt also die Phantasie eine wichtige Rolle
und noch mehr wird sie auf die Probe gestellt, wenn der Künstler selbst, von Überlieferung und Vor-
schriften ungebunden, den Gegenstand wählen darf. Eine doppelte Tätigkeit der Phantasie ist ihm
nötig: die literarische und die speziell künstlerische. Jene soll sich auf die prägnante Zuspitzung und
die folgerichtige Ausbildung der eigentlichen Fabel richten, diese auf das Auswählen solcher Hand-