Pieter Brueghel d. Ä. und sein Kunstschaffen.
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seum zu Lille. In einem Ei sitzt eine essende, trinkende und musizierende Gesellschaft, wie es scheint,
größtenteils aus Geistlichen, Mönchen und Nonnen bestehend. Die Personen sind mit allerlei, be-
sonders auf dem Kopfe angebrachten Attributen — Storch, Ente, Weinglas usw. — ausgestattet. Eine
Frau spielt Harfe, eine andere singt zu dem Texte: «Toutes les nuits qui sont, moins je me couche
pensant ä vous.» Aus dem Ei wachsen zwei Baumzweige heraus. An dem einen hängt ein Korb mit
einem Kapaun, Äpfeln und Brot, darüber sitzt eine Elster. An dem anderen Zweige hängt eine Schlange.
Das Ei hat unten Löcher, wodurch wunderliche Figuren sichtbar werden, unter anderen ein Mann,
Fig. 24. Das «Luylekkerland».
Gemälde von P. Brueghel d. Ä. in der Sammlung R. von Kaufmann zu Berlin.
Nach Photographie von F. Bruckmann in München.
der einem Mönche den Beutel wegstiehlt. 1 Rechts in der Ecke eine unterirdische Schmausszene. Das
Motiv des Ganzen, das sich wohl gegen die Üppigkeit und Genußsucht besonders der Klostergeist-
lichen richtet, erinnert sehr an einen Stich von Merica nach Bosch (H. Cock excu 1562), in welchem
Mönche und Nonnen in einer Muschel schwelgen und trinken. Aus dieser ragt ebenfalls ein Baum mit
symbolischen Gegenständen empor. Ein Ei mit einem Schwelger kommt in einer von Wierix nach
Pieter Brueghel d. Ä. gestochenen Folge vor. In dem Gemälde sind die Typen charakteristisch und
wie die Farbenskala Brueghel sehr ähnlich, obwohl gewissermaßen auch an Bosch erinnernd. Ich
möchte gern zwei Möglichkeiten offen lassen: wir hätten hier entweder eine ganz selbständige Arbeit
Brueghels oder eine von ihm nach einer Erfindung des Hieronymus Bosch ausgeführte vor uns. An
Jan Mandyn, Pieter Huys oder andere phantastische Künstler ist kaum zu denken. Auf dem rechten
Flügelbilde in dem Garten der Lüste des Hieronymus Bosch2 im Pradomuseum finden wir unter ande-
1 Vgl. «Der Mönch und die Welt» in Neapel (Fig. 25).
2 Ich schließe mich der gewöhnlichen, von K. Justi, a. a. O., vertretenen Ansicht an. H. Dollmayr, a. a. O., hat Bosch
das Bild aberkannt.
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seum zu Lille. In einem Ei sitzt eine essende, trinkende und musizierende Gesellschaft, wie es scheint,
größtenteils aus Geistlichen, Mönchen und Nonnen bestehend. Die Personen sind mit allerlei, be-
sonders auf dem Kopfe angebrachten Attributen — Storch, Ente, Weinglas usw. — ausgestattet. Eine
Frau spielt Harfe, eine andere singt zu dem Texte: «Toutes les nuits qui sont, moins je me couche
pensant ä vous.» Aus dem Ei wachsen zwei Baumzweige heraus. An dem einen hängt ein Korb mit
einem Kapaun, Äpfeln und Brot, darüber sitzt eine Elster. An dem anderen Zweige hängt eine Schlange.
Das Ei hat unten Löcher, wodurch wunderliche Figuren sichtbar werden, unter anderen ein Mann,
Fig. 24. Das «Luylekkerland».
Gemälde von P. Brueghel d. Ä. in der Sammlung R. von Kaufmann zu Berlin.
Nach Photographie von F. Bruckmann in München.
der einem Mönche den Beutel wegstiehlt. 1 Rechts in der Ecke eine unterirdische Schmausszene. Das
Motiv des Ganzen, das sich wohl gegen die Üppigkeit und Genußsucht besonders der Klostergeist-
lichen richtet, erinnert sehr an einen Stich von Merica nach Bosch (H. Cock excu 1562), in welchem
Mönche und Nonnen in einer Muschel schwelgen und trinken. Aus dieser ragt ebenfalls ein Baum mit
symbolischen Gegenständen empor. Ein Ei mit einem Schwelger kommt in einer von Wierix nach
Pieter Brueghel d. Ä. gestochenen Folge vor. In dem Gemälde sind die Typen charakteristisch und
wie die Farbenskala Brueghel sehr ähnlich, obwohl gewissermaßen auch an Bosch erinnernd. Ich
möchte gern zwei Möglichkeiten offen lassen: wir hätten hier entweder eine ganz selbständige Arbeit
Brueghels oder eine von ihm nach einer Erfindung des Hieronymus Bosch ausgeführte vor uns. An
Jan Mandyn, Pieter Huys oder andere phantastische Künstler ist kaum zu denken. Auf dem rechten
Flügelbilde in dem Garten der Lüste des Hieronymus Bosch2 im Pradomuseum finden wir unter ande-
1 Vgl. «Der Mönch und die Welt» in Neapel (Fig. 25).
2 Ich schließe mich der gewöhnlichen, von K. Justi, a. a. O., vertretenen Ansicht an. H. Dollmayr, a. a. O., hat Bosch
das Bild aberkannt.