Pieter Brueghel d. Ä. und sein Kunstschaffen.
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Fig. 36. Aus der Folge der radierten Dorflandschaften aus dem Jahre 1559,
Rückblick.
Unsere Musterung der erzählenden Werke Brueghels hat das Urteil bestätigt, das wir schon nach
dem flüchtigen Uberblicke über die vorhergehende niederländische Sittenmalerei fällen zu können
glaubten: er ist nicht der Entdecker von neuen Kunstgebieten sondern der Bauer und Entwickler des
eroberten Landes. Die profane Bibelerzählung, die didaktische Darstellung, ja gewissermaßen das
reine Sittenbild waren schon früher vorhanden und bei mehreren Gelegenheiten hat Brueghel sogar
überlieferte Motive von den Vorgängern aufgenommen. Aber historisch von Bedeutung ist es, daß diese
Gegenstände erst durch seine Behandlung der Malerkunst für immer gewonnen wurden.
Bei Untersuchung der Eigenschaften Brueghels als Erzähler dürfte es angemessen sein, von den
in der Einleitung dieses Hauptkapitels angegebenen Gesichtspunkten auszugehen. Wenn wir uns da
zuerst an seine Erfindungsgabe halten, so wird es sogleich klar, daß er in dieser eine bedeutende Kraft
und Fülle entwickelt, sowohl in der dichterischen als auch in der malerischen. Die erstere arbeitet mit
einer außergewöhnlichen Folgerichtigkeit und Frische und holt aus einer tiefen psychologischen Intui-
tion und einer allseitigen Lebenskenntnis ihre Nahrung. In Schilderungen wie der «Kindermord» und
die «Kreuztragung» im Hofmuseum fesselt uns das Ausspinnen, die Analyse des Motives, in anderen
Werken, insbesonders aus den Spätjahren des Meisters, z. B. im «Überfall», in den «Blinden», in
der «Bauernschlägerei», die zugespitzte Konzentration des Inhaltes und des Ausdruckes.
Brueghel ist gleichzeitig Epiker, Dramatiker und Lyriker — das letztere durch den Zusammen-
hang der Hintergrundlandschaften mit den Gegenständen der Darstellung. Vor allen Dingen ist er
aber im tiefsten Sinne Humorist. Im ganzen nimmt er also einen Ehrenplatz unter den größten
Dichtern des niederländischen Stammes ein, wie alle diese verwendet er jedoch als Ausdrucksmittel
nicht das Wort sondern Bild und Farbe. Seine Werke sind Schöpfungen des Sehens und für das Sehen;
wir erfahren dies am besten, wenn wir sie beschreiben wollen. Die dichterische Phantasie ist mit der
malerischen untrennbar verbunden: nichts ist nur des Inhaltes wegen, nichts nur um der Form
willen da. Die wechselnden Gruppen in der «Kreuztragung» sind psychologisch und dramatisch wert-
voll, aber ebenso sehr auch dadurch, daß sie Gelegenheit zu einer reichen Schilderung von Bewegungen
und Empfindungen bieten. Brueghels malerische Phantasie ist in dem Erfinde n von Motiven unver-
drossen und in der Wahl vom künstlerisch dankbaren unübertroffen. Als Voraussetzung und Trieb-
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Fig. 36. Aus der Folge der radierten Dorflandschaften aus dem Jahre 1559,
Rückblick.
Unsere Musterung der erzählenden Werke Brueghels hat das Urteil bestätigt, das wir schon nach
dem flüchtigen Uberblicke über die vorhergehende niederländische Sittenmalerei fällen zu können
glaubten: er ist nicht der Entdecker von neuen Kunstgebieten sondern der Bauer und Entwickler des
eroberten Landes. Die profane Bibelerzählung, die didaktische Darstellung, ja gewissermaßen das
reine Sittenbild waren schon früher vorhanden und bei mehreren Gelegenheiten hat Brueghel sogar
überlieferte Motive von den Vorgängern aufgenommen. Aber historisch von Bedeutung ist es, daß diese
Gegenstände erst durch seine Behandlung der Malerkunst für immer gewonnen wurden.
Bei Untersuchung der Eigenschaften Brueghels als Erzähler dürfte es angemessen sein, von den
in der Einleitung dieses Hauptkapitels angegebenen Gesichtspunkten auszugehen. Wenn wir uns da
zuerst an seine Erfindungsgabe halten, so wird es sogleich klar, daß er in dieser eine bedeutende Kraft
und Fülle entwickelt, sowohl in der dichterischen als auch in der malerischen. Die erstere arbeitet mit
einer außergewöhnlichen Folgerichtigkeit und Frische und holt aus einer tiefen psychologischen Intui-
tion und einer allseitigen Lebenskenntnis ihre Nahrung. In Schilderungen wie der «Kindermord» und
die «Kreuztragung» im Hofmuseum fesselt uns das Ausspinnen, die Analyse des Motives, in anderen
Werken, insbesonders aus den Spätjahren des Meisters, z. B. im «Überfall», in den «Blinden», in
der «Bauernschlägerei», die zugespitzte Konzentration des Inhaltes und des Ausdruckes.
Brueghel ist gleichzeitig Epiker, Dramatiker und Lyriker — das letztere durch den Zusammen-
hang der Hintergrundlandschaften mit den Gegenständen der Darstellung. Vor allen Dingen ist er
aber im tiefsten Sinne Humorist. Im ganzen nimmt er also einen Ehrenplatz unter den größten
Dichtern des niederländischen Stammes ein, wie alle diese verwendet er jedoch als Ausdrucksmittel
nicht das Wort sondern Bild und Farbe. Seine Werke sind Schöpfungen des Sehens und für das Sehen;
wir erfahren dies am besten, wenn wir sie beschreiben wollen. Die dichterische Phantasie ist mit der
malerischen untrennbar verbunden: nichts ist nur des Inhaltes wegen, nichts nur um der Form
willen da. Die wechselnden Gruppen in der «Kreuztragung» sind psychologisch und dramatisch wert-
voll, aber ebenso sehr auch dadurch, daß sie Gelegenheit zu einer reichen Schilderung von Bewegungen
und Empfindungen bieten. Brueghels malerische Phantasie ist in dem Erfinde n von Motiven unver-
drossen und in der Wahl vom künstlerisch dankbaren unübertroffen. Als Voraussetzung und Trieb-