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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 25.1905

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I. Theil: Abhandlungen
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Dimier, Louis: Die französischen BIldnisse in der Porträtsammlung des Erzherzogs Ferdinand von Tirol
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https://doi.org/10.11588/diglit.5915#0224
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Louis Dimier.

ziemlich unsicheren Familienüberlieferungen entnommen zu haben scheint. Seine Ergebnisse sind daher
reich an Irrtümern und die Inschriften dieser alten gemalten Bildnisse nur mit allem Vorbehalt auf-
zunehmen.

Die Inschriften der Krayonbildnisse, wie etwa jener in Chantillv, verdienen im allgemeinen weit
mehr Glauben. Sie sind mit der Feder von verschiedenen Händen geschrieben, die jedoch noch nicht
genau gesondert sind. Sicher ist nur, daß sie aus dem Ende des XVI. Jahrhunderts stammen. Trotz
dieses relativ hohen Alters ließen sich auch darin Fehler nachweisen, ja es waren ihnen sogar in ge-
wissen Fällen die Inschriften auf den gemalten Bildnissen vorzuziehen. Dies kommt vielleicht daher,
daß jene nur von den Sammlern selbst herrühren, die niemandem Rechenschaft schuldig waren und
von niemandem kontrolliert wurden als von ihrer eigenen Erinnerung oder von Uberlebenden des
früheren Hofes, die zuweilen von ihrem Gedächtnis getäuscht worden waren.

Die speziell für Sammlerzwecke hergestellten Kopien wurden wohl strenger überwacht und man
könnte sicherer auf sie bauen, ließe nicht ihre geringe künstlerische Qualität auch auf eine mangelhafte
Kenntnis schließen, für die es übrigens auch Beweise gibt. Es ist hier besonders eine ziemlich große An-
zahl von Zeichnungen im Cabinet des Estampes in Paris, im Louvre und in der Ermitage in St. Peters-
burg zu erwähnen, auf denen sich der Name der dargestellten Person von der Hand des Malers Ben-
jamin Foulon geschrieben findet. Diese Inschriften sind scheinbar äußerst genau. Aber sie begegnen
fast auf keinem Stücke, von dem eine gemalte Wiederholung zu finden wäre.

In den gleichzeitigen Stichen bieten die Inschriften allerdings vollkommene Sicherheit; allein es
ist aus ihnen deshalb nur wenig Nutzen zu ziehen, weil sie erst in ziemlich später Zeit dank der Mühe-
waltung des Thomas de Leu und Leonhard Gautier in größerer Zahl auftreten und die Persönlichkeiten,
die sie darstellen, nicht jene sind, aus denen sich das Oeuvre eines Francois Clouet und seiner Nach-
eiferer zusammensetzt.

Dies gilt nicht allein von den Sammlungen von Stichen sondern auch von den meisten histori-
schen Galerien, die, wie bereits bemerkt wurde, die fünfte Quelle unserer Kenntnis bilden. Mit diesen
Galerien verfolgte man, angeregt von dem berühmten Museum des Paolo Giovio, die Absicht, die Bild-
nisse von jenen großen Männern — Gelehrten, Dichtern, Herrschern, Feldherren usw. ■— zu vereinigen,
die aus verschiedenen Gesichtspunkten die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hatten. Sie
unterscheiden sich dadurch sehr wesentlich von den Albums zweiter Hand und von den Sammlungen
von Originalbildnissen unserer Museen, die sich häufig aus historisch wenig bekannten, in ihrer Be-
deutung ausschließlich auf die Höfe beschränkten Persönlichkeiten zusammensetzen. Eine ganze Reihe
von Bildnissen Clouets stellt bloß die Umgebung des Königs, die «erste Gesellschaft» jener Zeit dar,
keineswegs ein Pantheon geschichtlicher Figuren. Dasselbe gilt, wie gesagt, von den Stichen, die,
für ein weniger vornehmes und größeres Publikum bestimmt, zugunsten der echten Berühmtheiten
alles vernachlässigen, was nur vornehme Welt war. Sammlungen wie die Hommes Illustres von Thevet,
das Promptuaire des M£dailles von Reverdi oder die Chronologie Collee, zeigen deutlich diese Absicht.
Hierher gehört auch die Sammlung der Uffizien in Florenz und jene des Thomas Rhediger im Alter-
tumsmuseum zu Breslau, beide aus ungefähr der gleichen Zeit stammend wie die des Erzherzogs Ferdi-
nand von Tirol. Bei anderen kommt als weiterer Mangel hinzu, daß sie einer viel späteren Periode
angehören als die Originale, die sie uns verkörpern sollen, so die Galerie von Beauregard oder die
sogenannte Galerie des Guises in Chäteau d'Eu.

Dagegen ist die Sammlung des Erzherzogs Ferdinand von Tirol in ihrem französischen Teile
einzig in ihrer Art. Geplant zu einem etwas abweichenden Zwecke, da sie keineswegs nur zur Deko-
ration dienen sollte, vereinigt sie die damals allgemeine Absicht der Gründung von Galerien mit
dem Interesse des Kunstfreundes an höfischen Bildnissen. Dazu kommt, daß sie fast derselben Zeit
angehört wie die Originalbilder, ja die dargestellten Personen selbst. Dieser Doppelcharakter macht
sie zu einem ganz einzig dastehenden ikonographischen Dokument für das Frankreich des XVI. Jahr-
hunderts. Kein Zweifel, daß in dem gleichen Maße, als diese Studien weitere Fortschritte machen, die
französischen Forscher aus ihr mehr und mehr Nutzen ziehen und sich von Tag zu Tage mit größerem
Vertrauen auf sie beziehen werden.
 
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