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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 36.1923-1925

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Glück, Gustav: Dürers Bildnis einer Venezianerin aus dem Jahre 1505
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https://doi.org/10.11588/diglit.6171#0104
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Dürers Bildnis einer Venezianerin aus dem Jahre 1505.

Italien und italienische Kunst zu sehen, durch den gelegentlichen Anblick italienischer Stiche
und Handzeichnungen auf das stärkste angefacht worden.

Wir wissen wenig von dieser ersten italienischen Reise des Künstlers, deren Annahme ja
selbst nicht mehr ist als eine wohlbegründete Vermutung, und wir können auch nicht sagen,
ob er mehr einem dunkeln Drange folgend als mit bestimmten Absichten des Studiums nach
dem Süden gewandert ist, ob ihm zu dieser frühen Zeit schon die Überlegenheit der Italiener
in der Darstellung des Nackten und in der Perspektive ebenso stark zum Bewußtsein gekommen
war, wie er sie später anerkannt hat.1 Die Sehnsucht nach der Antike hat ihn schwerlich nach
Italien geführt;2 sonst hätte er getrachtet, auch nach Rom zu kommen. Gelegentliche An*
regungen vorzüglich nach gegenständlicher Richtung hin sollen dabei sicherlich nicht geleugnet
werden, und daß ihm Mantegnas erregte Auffassung der Antike und später selbst des unbe*
deutenden Jacopo de' Barbaris Proportionsstudien etwas bedeutet haben, beweisen manche
seiner Werke, die er nach dieser Reise geschaffen hat.3 Doch behält in gewissem Sinne der
alte holländische Maler und Künstlerbiograph Carel van Mander4 recht, wenn er von Dürer sagt,
er habe sich, ebenso wie seine Vorgänger, im eigenen Lande bemüht, in all seinem Schaffen
der Natur nachzustreben, ohne aber zu trachten, das Schönste aus dem Schönen zu wählen
und herauszusuchen, wie es von alter Zeit her mit großem Verständnis die Griechen und Römer
getan hätten, was in den antiken Bildwerken deutlich erkennbar sei und den Italienern schon
früh die Augen geöffnet habe. Freilich ist das Urteil dieses Vertreters des Manierismus für
uns insofern keineswegs ganz zutreffend, als er Dürer wie eine Art von Autodidakten betrachtet
und dabei vergißt, daß der große, der umfassende Künstler, wie die Biene aus den mannig*
faltigsten Blumen, seine Nahrung überall nimmt, wo er sie auch finden mag. Neben den
äußeren Umständen werden daher Dürer ohne Zweifel zu seinen Reisen auch tief innerliche
Anlässe bewogen haben, worunter die Sehnsucht, die gesamte Kultur seiner Zeit kennen zu
lernen und zu erfassen, sicherlich der wichtigste gewesen ist.

Solche Dinge haben mitgespielt, als Dürer sich zu einer zweiten italienischen Reise ent«
schloß. Diesmal galt es nicht mehr zu lernen und zu studieren; Dürer, der von der Verbreitung
seines gedruckten Werkes in Italien gehört hatte, suchte hier Aufträge und Bestellungen, die
er vor allem in der reichen Handelsstadt Venedig zu finden hoffte. Es lag ihm daran, nicht
nur als Küpferstecher und Zeichner für den Holzschnitt sondern auch als Maler neue Erfolge
zu erringen. Er fühlte in sich die Kraft, den Venezianern auf ihrem eigensten Gebiete, der
Farbe, nachzufolgen und hier sich mit ihnen zu messen. Seit dem Gemälde der Anbetung der
Könige (heute in den Uffizien zu Florenz), das er 1504 wahrscheinlich im Auftrage Friedrichs
des Weisen von Sachsen gemalt hatte, war ihm, so viel wir wissen, keine andere Bestellung
auf diesem Gebiete zuteil geworden. Und ohne Bestellung hat er nicht sehr viel gemalt, ver»
mutlich aus materiellen Gründen; damals war er wohl kaum noch in der Lage, wie etwa Bellini,
Gemälde aus eigener Laune heraus (di sua fantasia) zu schaffen. Nachrichten aus den Kreisen
der zahlreichen deutschen Kolonie in Venedig mögen ihm Aussichten eröffnet haben, die sich
zu dieser Zeit in seinem Vaterlande nicht boten. In der Tat war damals oder später, als er
schon in Venedig weilte, von einem Antrag der venezianischen Regierung, der Signoria, unter
der günstigen Bedingung eines hohen Jahresgehalts5 die Rede, so erstaunlich dies auch heute

1 In den Vorschriften für eine Widmung der Proportionslehre: «Das sechst, daß ich die Walchen last lob
in ihren nacketn Bildern und zuvor in der Perspettiva.» Lange und Fuhse, Dürers schrittlicher Nachlaß, Halle
1893, S. 254.

2 Hiezu vergleiche man die gründlichen Ausführungen Erwin Panofskys in seiner interessanten Schrift «Dürers
Stellung zur Antike», Wien 1922. Nach dem Urteil dieses Forschers «war es der nordischen Kunst vollkommen
unmöglich, von sich aus einen Zugang zur Antike zu finden».

3 Eine umsichtig zusammenfassende Darstellung dieser Beziehungen hat kürzlich Gustav Pauli in seiner Studie
über «Dürer, Italien und die Antike» (Vorträge der Bibliothek Warburg I, S. 51) gegeben.

4 C. van Mander ed. H. Floerke, München und Leipzig 1906, I, S. 84.

5 Dürer bezeugt dies selbst in einem Brief, den er vor dem 17. Oktober 1524 an den Nürnberger Rat gerichtet
hat: «Item so haben mich die Herrschaft zu Venedig vor neunzehen Jahrn bestellen und alle Jahr zweihundert
Dukaten Provision geben wollen.» Lange und Fuhse, Dürers schriftlicher Nachlaß, Halle 1893, S. 63.
 
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